Das Ende des kurdischen Autonomieprojekts
Baschar al-Assad hat nicht lange gezögert, als ihn die bedrängten Kurden gegen die Türkei zu Hilfe riefen. Schon am Montagvormittag rückten seine Truppen in die Stadt Tal Tamr ein, wenig später fuhren ihre Panzer auch in Tabka und Ain Issa vor, und am Abend übernahmen sie die Kontrolle über Manbidsch. Zwar betont die kurdische Selbstverwaltung, dass es allein um militärische Unterstützung zur Verteidigung der Grenzen geht. Doch mit der Rückkehr der Regierungstruppen in die Kurdengebiete steht das kurdische Autonomieprojekt in Syrien vor dem Ende.
Für die Kurden ist die Rückkehr unter das Joch des Diktators bitter, hatten sie doch hart für ihre Autonomie gekämpft. Doch unter dem Beschuss der Türkei und verlassen von ihren amerikanischen Verbündeten blieb ihnen keine Wahl. Schon bald nach Beginn der Offensive war klar, dass die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) der Luftwaffe Ankaras und ihren islamistischen Hilfstruppen in dem flachen, offenen Gelände Nordsyriens nicht standhalten könnten.
Zerrieben zwischen den Fronten
Das Scheitern der kurdischen Autonomie hat am Ende jedoch weniger militärische als politische Gründe. Schon länger war klar, dass die Situation auf Dauer nicht haltbar war: Im Norden der türkische Präsident Erdoğan, der die YPG als Terroristen betrachtete, im Süden Assad, der an seinem Herrschaftsanspruch festhielt. Und als wichtigsten Verbündeten Donald Trump, der von der Komplexität des Konflikts sichtlich überfordert war und keine langfristige Strategie besaß.
Mit der Rückkehr der Regierung endet nun ein politisches Projekt, das viele als Modell für die künftige Ordnung Syriens gesehen hatten. Nach Beginn des Bürgerkriegs hatten die Kurden unter Führung der Partei der Demokratischen Union (PYD) im Nordosten eine eigene Verwaltung samt Schulen und eigenen Sicherheitskräften aufgebaut. Die Regierung in Damaskus nahm dies stillschweigend hin, solange die Kurden nicht gegen sie zu den Waffen griffen.
Mit ihrer säkularen Ausrichtung, ihrem Eintreten für die Gleichstellung der Frauen und ihrer Befürwortung demokratischer Strukturen gewann die PYD im Westen rasch Sympathien. Zwar wurde dabei oft übersehen, dass auch sie rivalisierende Parteien unterdrückte, Kritiker einsperrte und tausende arabische Einwohner vertrieb. Doch ihr Modell der Dezentralisierung erschien wegweisend, um die ethnisch und politisch polarisierte Gesellschaft Syriens zu befrieden.
Der fallengelassene Bündnispartner
Als die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien aufkam, stellte sich die YPG ihr entschlossen entgegen. Während Ankara und Damaskus weitgehend tatenlos zusahen, vertrieben die YPG-Kämpfer die Extremisten unter hohen Verlusten aus Kobane und anderen Städten. Mangels anderer Alternativen unterstützten die USA die kurdische Miliz mit Waffen, Luftangriffen und Spezialkräften und lernten sie rasch als verlässlichen Verbündeten schätzen.
Doch der Türkei war die kurdische Autonomie in Nordsyrien ein Dorn im Auge. Sie betrachtete die Präsenz der YPG an ihrer Grenze als Bedrohung, da sie eng mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbunden ist, die seit den 1980er Jahren gegen den türkischen Staat kämpft. Ankara befürchtete, dass die modernen US-Waffen in den Händen der PKK landen würde, und protestierte erbittert in Washington gegen die Aufrüstung dieser "Terrororganisation".
Nach der Einnahme der letzten IS-Bastion am Euphrat kontrollierten die kurdischen Milizen rund ein Drittel der Fläche Syriens. Doch Assad ließ keinen Zweifel daran, dass er langfristig eine Machtteilung nicht akzeptieren würde. Die PYD blieb auf die Militärhilfe und die Protektion der USA angewiesen, um ihre Autonomie zu verteidigen. Dabei war klar, dass die Unterstützung Washingtons eigentlich nicht den Kurden galt, sondern dem Kampf gegen die Dschihadisten.
Schon Ende letzten Jahres kündigte Trump, seine Truppen abzuziehen, sobald die IS-Miliz besiegt sei. Ein Ende des Einsatzes erschien ihm umso dringender, da ihn die Unterstützung für die PYD in einen unauflösbaren Konflikt mit dem Nato-Partner Türkei brachte. Die Hilfe für die PYD war von Anbeginn nur möglich, indem die USA die Augen vor den offensichtlichen ideologischen und personellen Verbindungen der PYD zur PKK verschlossen.
Verhängnisvolle Nähe zur PKK
Dieser Konflikt wäre nur auflösbar gewesen, wenn sich die PYD glaubhaft von der PKK distanziert und Ankara versichert hätte, dass sie die kurdischen Brüder und Schwestern in der Türkei nicht in ihrem Kampf für Autonomie unterstützen würde. Doch das tat die PYD nicht, vielmehr machte sie aus ihrer Nähe keinen Hehl: In allen Büros prangte das Porträt des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalans und auf ihren Kundgebungen war sein Bild omnipräsent.
Letztlich hätte die PYD sich entscheiden müssen, mit ihrer Mutterpartei zu brechen und sich auf den Aufbau ihrer Autonomieregion in Syrien zu konzentrieren. Das Beispiel des Nordirak zeigt, dass Ankara durchaus mit einer kurdischen Autonomieregion an ihrer Grenze leben kann, wenn sich diese klar von der kurdischen Guerilla in der Türkei distanziert. Dass dies für die PYD nicht in Frage kam, zeigt, wie untrennbar sie tatsächlich mit der PKK verbunden ist.
Eine Rechtfertigung für den Angriffskrieg der Türkei ist dies freilich nicht. Schon beim Angriff auf Afrin war Ankara jeden Beweis schuldig geblieben, dass von der YPG eine unmittelbare Bedrohung ausgeht. Die Türkei hatte ihre Grenze da längst so abgeriegelt, dass der Schmuggel von Waffen oder die Infiltration von Kämpfern unmöglich waren. Sicherheitspolitisch war der Einsatz daher nicht zwingend und der Einmarsch in ein Nachbarland rechtlich höchst fragwürdig.
Wie es nun weitergeht, ist offen. Mit einer Rückkehr Assads in den Nordosten kann Erdoğan wohl leben, so sehr er den Diktator in Damaskus auch hasst. Einfach abziehen aus den bereits besetzten Gebieten wird die Türkei aber wohl nicht. Viel kommt nun auf Russland an, das als Vermittler zwischen Ankara, Assad und den Kurden eine zwielichtige, aber zentrale Rolle spielt. Wer die Gewinner dieses Krieges sind, ist schon klar. Und dass die Kurden nicht dazu gehören, auch.
Ulrich von Schwerin
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