Verschenktes Potenzial


"Beabsichtigen Sie, in den nächsten Jahren in die Türkei zu ziehen?", lautete eine weitere Frage in der Studie. Hätte man die Frage anders formuliert, nämlich dahingehend, ob der Wunsch besteht, ins Ausland zu ziehen – etwa in Länder, die Talente abwerben, wie z.B. Kanada, Australien, England oder die Vereinigten Arabischen Emirate –, dann wäre der Anteil der Auswanderungswilligen wohl noch höher ausgefallen, so Sezer.
Fehlende Identifikation?
Das "Futureorg Institut" arbeitet derzeit an der Endauswertung der Studie. Ein Ergebnis hat Sezer besonders überrascht: Die meisten Auswanderungswilligen sind offenbar weiblich. Dies ist erstaunlich, da viele junge Türkinnen sich durch das Studium in Deutschland Freiräume geschaffen haben und Freiheiten genießen, die in der konservativeren Türkei nicht unbedingt selbstverständlich sind. Warum also in ein Land auswandern, das Frauen nicht so viele Möglichkeiten eröffnet wie Deutschland?
"Deutschland muss sich fragen: Warum können viele türkischen Akademiker, die das deutsche Bildungssystem erfolgreich durchlaufen haben, sich nicht mit diesem Land identifizieren, das ihnen das Studium ermöglicht hat?", fragt Sezer.
Die Studie widmet sich auch dem religiösen Selbstverständnis dieser Zielgruppe. Ein Großteil der Befragten ist dem Kemalismus und der säkularen Republik Türkei gegenüber positiv eingestellt, bezeichnet sich gleichzeitig aber auch als sehr gläubig. Das erscheint auf den ersten Blick als Widerspruch. Offensichtlich verbinden aber die Befragten Säkularismus mit Religiösität.
Die Mehrheit wiederum nimmt es mit der Ausübung der Religion nicht so streng. So achten wenige beim Fleischkonsum auf so genannte halal-Produkte, viele gehen unregelmäßig zum Freitagsgebet. Auch das ist kein Widerspruch: Der Islam ist hier als identitätsstiftender Faktor zu sehen.
Die deutsche Politik hat in den vergangenen Jahren sicher viel für die Integration geleistet, jedoch das Potenzial der Bildungseliten mit Migrationshintergrund kaum vollständig wahrgenommen und genutzt. Dabei sind es gerade die Akademiker mit Migrationshintergrund, die eine Brücke zwischen Migranten und Deutschen schlagen könnten.
Nimet Seker
© Qantara.de 2008
Dieser Artikel entstand im Rahmen des gemeinsamen Projekts "Meeting the Other" mit dem Online-Magazin babelmed.net im Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs. Mehr Informationen zu diesem Projekt finden Sie hier
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