Meinungsfreiheit in engen Grenzen



Im Sommer 2005 wurde in den türkischen Medien eine Kampagne gegen die "von Europa aufgezwungenen" Gesetzesänderungen geführt, die angeblich die Sicherheitskräfte bei der Bekämpfung des Terrorismus behindern. Eine Folge dieser Stimmungsmache ist ein neues Antiterrorgesetz, das im Juli 2007 in Kraft trat.
Darin ist nicht nur die Definition terroristischer Straftaten sehr weit und ungenau gefasst, auch im Rahmen des vorausgegangenen Reformprozesses erreichte Verbesserungen im Schutz gegen Folter wurden teilweise wieder rückgängig gemacht: Beschuldigte können länger in Polizeihaft gehalten und der Kontakt zu einem Rechtsanwalt kann verzögert werden.
In den letzten Jahren war die Folter in der Türkei zwar noch immer weit verbreitet, es war aber ein kontinuierlicher Rückgang zumindest bei der Brutalität der angewandten Foltermethoden zu verzeichnen gewesen.
Die neuesten Berichte der "Türkischen Menschenrechtsstiftung" deuten allerdings auf eine gegenläufige Tendenz hin: Folter und Misshandlungen scheinen wieder verstärkt eine routinemäßige Praxis der Polizei zu sein und auch über schwere physische Folterungen wird wieder häufiger berichtet.
Tendenz zum Stillstand in der Reformpolitik
Besorgniserregend ist auch die wieder zunehmende Tendenz, dass Polizisten – vor allem in den kurdischen Gebieten – missliebige Personen verschleppen und misshandeln oder mit dem Tode bedrohen.
Die Tendenz zum Stillstand in der Reformpolitik wird begleitet von einem Erstarken nationalistischer Strömungen. Zu leiden haben darunter neben den Kurden zunehmend auch andere ethnische und religiöse Minderheiten.
Tragische Höhepunkte dieser Entwicklung waren der Bombenanschlag auf eine Istanbuler Synagoge im November 2003, die Ermordung eines katholischen Priesters in Trabzon im Februar 2006 und schließlich die Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink am 19. Januar 2007.
Wer auch immer die einzelnen Täter waren und wer auch immer hinter ihnen stehen mag – der Boden für diese Taten wurde bereitet von einer offiziellen Staatspolitik, die Angehörige von Minderheiten als potentielle Verräter brandmarkt und die Forderung nach Rechten für Minderheiten strafrechtlich verfolgt.
Ein Instrument dafür ist der Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der die "Verunglimpfung des Türkentums" unter Strafe stellt. Internationale Bekanntheit erlangte dieser Artikel durch die Einleitung eines Strafverfahrens gegen die türkischen Literaturnobelpreisträge Orhan Pamuk, der sich zu dem Völkermord an den Armeniern und massenhaften Morden an Kurden geäußert hatte.
Aufsehen erregte auch ein Strafverfahren gegen zwei Mitglieder des Beirats für Menschenrechte des türkischen Ministerpräsidenten, die einen Bericht über die mangelnde Umsetzung von Minderheitenrechten in der Türkei vorgelegt hatten.
Auch Hrant Dink wurde aufgrund seiner Artikel über den Völkermord an den Armeniern mehrfach wegen "Verunglimpfung des Türkentum" angeklagt und verurteilt. Ebenso werden Mitglieder türkischer Menschenrechtsorganisationen mit politischen Prozessen überzogen. Kritik an Menschenrechtsverletzungen wird ihnen oft als strafbare "Beleidigung der Sicherheitskräfte" zum Vorwurf gemacht.
Vertrauensverlust in die EU weit verbreitet
Trotz positiver Ansätze in den letzten Jahren trüben die jüngsten Entwicklungen die Hoffnungen auf eine durchgreifende Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei. Die Bemühungen um eine EU-Mitgliedschaft scheinen ihre Funktion als Reformmotor eingebüßt zu haben.
Aktuelle Umfragen belegen, dass die meisten Menschen in der Türkei nicht daran glauben, dass die EU tatsächlich bereit sei, ihr Land in die Gemeinschaft aufzunehmen. Die erstarkten türkischen Nationalisten, auf deren Positionen die Regierung angesichts bevorstehender Wahlen Rücksicht nehmen muss, befürchten von einem EU-Beitritt sowieso den Ausverkauf türkisch-nationaler Interessen und haben andere politische Prioritäten.
Das Grundproblem ist – und das zeigen die aktuellen Entwicklungen sehr deutlich – dass die türkische Regierung zwar versucht hat, den Vorgaben der EU zumindest teilweise nachzugeben, dass es jedoch keinen Wandel in dem traditionell autoritären Staatsverständnis gegeben hat.
Politische Positionen und Forderungen, die einem eng festgelegten "Wohl des Staates" zuwider laufen, werden rigoros bekämpft, dem politischen Meinungsaustausch werden durch strafrechtliche Sanktionen enge Grenzen gesetzt.
Amke Dietert
© Qantara.de 2007
Die Autorin ist Türkei-Expertin der deutschen Sektion von amnesty international (ai).
Qantara.de
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