Unverschleierte Frauen erobern das Kino
Mahin (Lily Farhadpour), die Protagonistin des Spielfilms "Keyke mahboobe man" ("Mein Lieblingskuchen"), ist eine gutaussehende, mollige Witwe. Sie hat ihren Mann, einen Armeeoffizier, vor zwanzig Jahren verloren und lebt allein in einer ansehnlichen Parterrewohnung mit Terrasse und einem kleinen Garten. In den Innenaufnahmen zeigt der Film sie ohne Kopftuch, was im Iran verboten ist.
Mahin wird älter und einsamer. Ihre einzige Tochter lebt im Ausland. Früher hat sie ihre Tochter und Enkelkinder alle paar Jahre in Europa besucht, doch in den letzten Jahren hat sie nicht mehr so leicht ein Visum bekommen.
Einst war sie eng mit ihren Freundinnen in Teheran verbunden. Sie haben sich oft zum Essen getroffen, miteinander gekocht, gelacht und erzählt. Nun sind sie in die Jahre gekommen. Die Wege scheinen länger geworden zu sein, ihre Schritte kürzer und langsamer. Sie kommen statt einmal in der Woche nur noch einmal im Jahr zusammen. Es wird dann noch immer herzlich gelacht, über die schönen Dinge des Lebens. Aber es wird auch über Inkontinenz gelästert oder über Schmerzen und Leid.
Bei einem dieser Treffen fragt eine Freundin Mahin: "Warum versucht du nicht, einen neuen Mann kennenzulernen? Dein Mann liegt schon seit zwanzig Jahren unter der Erde, die Tochter lebt im Ausland. Du solltest versuchen, einen neuen Lebenspartner zu finden!" Die lebenslustige Mahin sehnt sich nach Aufmerksamkeit und Liebe. Sie will sich nicht länger nur um die Pflanzen im Garten kümmern. Ihr Mann hat gut für sie gesorgt. Sie ist gesund, hat keine Existenzangst und ist willensstark. Das Leben ist für sie noch nicht zu Ende.
Beim Brotholen sieht sie einen Sicherheitsbeamten, der gerade ein junges Mädchen festgenommen hat und es in ein Polizeiauto zerren will. Ihr Kopftuch soll zu locker gesessen haben. Mahin geht dazwischen. Der Polizist ruft: "Ich weiß, was Ihr vorhabt! Ihr wollt uns filmen und die Bilder im Ausland veröffentlichen!" Deshalb lässt er das Mädchen frei.
Die inneren Revolutionen
In ihrer Storysammlung "Zan" erzählt Suzi Ehtesham-Zadeh von iranischen Frauen während des Aufstands im Iran und von Frauen im Exil, die sich auf unterschiedliche Weisen mit ihrer Identität und ihren Wurzeln auseinandersetzen. Ein Buch über Frauen, Leben und Freiheit, das genau im richtigen Moment kommt
Suche nach Zärtlichkeit und Liebe
Mahin hält Ausschau nach einem Mann, der zu ihr passt, und findet die Liebe in einem Restaurant. Als Offiziersfrau erhält sie ab und an Gutscheine für ein Restaurant für Armeeangehörige, lässt sie aber meist verfallen, weil sie niemanden findet, der mit ihr dorthin geht. Nun fasst sie Mut und geht allein ins Restaurant.
Sie hört dort bei einem Gespräch zwischen mehreren Männern, dass einer von ihnen ein Ex-Offizier (Esmail Mehrabi) ist, der es nach einer Verwundung satthatte, zu töten oder getötet zu werden und deshalb den Armeedienst quittiert hat.
Seitdem fährt er für ein privates Taxiunternehmen. Und er lebt allein. Mahin unterhält sich mit ihm und bittet ihn, sie mit seinem Taxi nachhause zu bringen. Sie nimmt ihn mit in ihre Wohnung und macht eine Flasche vor Jahren selbstgemachten Weins auf. Die beiden hören Musik, trinken, tanzen, duschen. Der Mann legt sich hin und sie backt ihm ihren Lieblingskuchen. Der Abend endet mit einer großen Überraschung.
Zahlreiche Tabus werden gebrochen
"Keyke mahboobe man“ kommt bei Presse und Publikum sehr gut an. Es ist ein lebensbejahender Liebesfilm. Einige Besonderheiten bleiben dem europäischen Publikum aber verborgen: In dem Film von Maryam Moghadam und Behtash Sanaeeha werden zahlreiche kleine und große Tabus gebrochen. Eine "ältere Frau" ab 50 oder 60 Jahren stellt im iranischen Kino in der Regel eine Mutter oder Großmutter dar und hat vor allem das Wohl der anderen, meist der jüngeren oder älteren Männer, im Blick.
Auf jeden Fall zeigt eine Frau in dem Alter kaum Bedürfnisse nach Liebe. Ein weiterer Tabubruch besteht darin, dass auf der Leinwand Wein getrunken wird und noch ein größerer Tabubruch passiert dann, wenn Mann und Frau miteinander tanzen und sich dabei berühren.
Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 hat man im Iran keine unverschleierten Frauen mehr auf der Leinwand gesehen. Seit beinahe einem halben Jahrhundert sieht die gefilmte Realität in der Islamischen Republik so aus: Frauen tragen zuhause ein weites und knöchellanges Kleid oder Hose und Mantel und gehen sogar mit dem Kopftuch ins Bett. Sie stillen ihre Kinder nicht, und wenn ihre Söhne nach langen Jahren im Krieg heimkehren, laufen sie ihnen entgegen und schauen sie dann aus "sicherem" Abstand an, ohne sie zu berühren.
Wenn eine Frau in einer Filmszene zuhause in Ohnmacht fällt, läuft ihr Ehemann erst einmal aus der Wohnung, um eine Nachbarin zu holen, die seiner bewusstlosen Ehefrau hilft. Ein Film-Ehemann schlägt seine Frau niemals mit bloßer Hand, sondern mit einer Latte oder einem Regenschirm, so dass er sie nicht berühren muss. Ein Polizist, der eine Frau festnehmen will, darf sie nur am Mantel anfassen oder am Ärmel ziehen.
Das alles passiert so aber nur im Kino. Die Realität sieht anders aus. Bei Straßenprotesten und in den Gefängnissen werden Frauen sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt.
Widerstand gegen den Schleierzwang
Die Tabubrüche in "Keyke mahboobe man" kann man nicht nur dem Mut des Regie-Duos und der Schauspielerinnen zuschreiben. Die Dreharbeiten zu dem Film hatten zwar lange vor der Protestbewegung "Frau, Leben, Freiheit" begonnen. Doch seine mutigen Tabubrüche sind auch den jungen Menschen zu verdanken, die in den vergangenen Jahren immer wieder den Mut hatten, den frauenverachtenden Regelungen und Gesetzen im Iran entgegenzutreten.
Maryam Moghadam und Behtash Sanaeeha haben öffentlich gemacht, dass während der Postproduktion und beim Filmschnitt Sicherheitskräfte sämtliche Hardware mitsamt den Filmaufnahmen beschlagnahmt haben. Die beiden Regisseure wollten nach Paris reisen – wo der Sitz ihrer Produktionsfirma liegt -, um den Schnitt der Kopien der Aufnahmen zu beaufsichtigen. Ihr Ausreisegesuch wurde abgelehnt und es kostetet sie große Mühe, die Arbeit mithilfe der Produzenten aus der Distanz in Paris abzuschließen.
Auf der 74. Berlinale wurde der Film im Februar 2024 uraufgeführt, Maryam Moghadam und Behtash Sanaeeha durften jedoch nicht nach Berlin reisen, um am Filmfestival teilzunehmen. In ihrer Botschaft an die Berlinale, die von Hauptdarstellerin Lily Farhadpour verlesen wurden, teilten beide mit, sie seien traurig, weil sie die Geburt ihres gemeinsamen Kindes auf großer Leinwand nicht mit dem Publikum feiern konnten. Ihren Film haben sie den mutigen Frauen Irans gewidmet.
"My Favourite Cake" (Keyke mahboobe man) mit Maryam Moghaddam, Behtash Sanaeeha | Irland, Frankreich, Schweden, Deutschland 2024 | 97 min, mit: Lily Farhadpour, Esmail Mehrabi. Kinostart: 11.7.2024