Der Gott der kleinen Dinge
Es gilt, das Gemeinsame zu betonen. In einer Gesellschaft, die sich durch eine kaum zu überblickende Vielfalt an Lebensentwürfen auszeichnet, ist das nicht immer ein leichtes Unterfangen. Die meisten Einrichtungen, auf denen Bildungsarbeit und das Gemeinwesen in den Kommunen ruht, werden der Vielfalt einer Zuwanderungsgesellschaft nur wenig gerecht.
Das gilt für die großen Sozialverbände wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Deutsche Caritas, den Paritätischen Gesamtverband, das Deutsche Rote Kreuz, das Diakonische Werk der evangelischen Kirche und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.
Sie spiegeln das weltanschauliche und religiöse Spektrum der Bundesrepublik der Fünfziger- und Sechzigerjahre wider. Eine auf solcherart konfessionellen Säulen ruhende Wohlfahrt, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern teilweise sogar religiöse Vorschriften für die private Lebensführung auferlegt, kann aber nicht gerade als Garant für Pluralität und Offenheit gelten.
Integration durch Partizipation
Hinzu kommt ein weiteres Problem. Integration findet maßgeblich im kommunalen Raum statt. Doch die Integrationspolitik, die von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in Kindergärten, Schulen, Freizeiteinrichtungen oder der Familienhilfe gestaltet wird, betrachtet Zuwanderer bislang hauptsächlich in asymmetrischen Klientenbeziehungen.
Auf der einen Seite stehen professionelle Helfer mit ihrem Expertenwissen, auf der anderen Seite ihre Klienten "mit Migrationshintergrund", die in einer passiven Grundhaltung bestätigt werden. In diesem Modell treten Zuwanderer selten als souveräne, eigenständige und gestaltende Akteure in Erscheinung.
Hier muss es in den Kommunen ein Umdenken geben. Es sollte dazu führen, Zuwanderer als gleichberechtigte Bürger auf Augenhöhe zu begreifen.
Eine zukunftsweisende Integrationspolitik müsste Zuwanderern mehr Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen und sie zugleich in die Verantwortung nehmen. Dazu müssten junge Zuwanderer in ihren Wohnvierteln gezielt angesprochen und ausgebildet werden - etwa um sie mit den Spielregeln bei der Vergabe kommunaler Fördermittel vertraut zu machen.
Letztlich braucht es dazu neue Trägerstrukturen, denn die bisherige Form der Migrantenselbstorganisationen (MSO) hat ausgedient. Über Ausländer- und Integrationsbeiräte am Katzentisch der Kommunalpolitik platziert lässt man sie bislang nahezu wirkungslos in der Kommunalpolitik gewähren.
Besser wäre es, wenn Zuwanderer künftig ohne Umwege als reguläre Akteure und Partner in Erscheinung träten. Integration durch Partizipation lautet das Motto. Das heißt: Kindergärten, Jugendzentren, Bildungseinrichtungen und Familienhilfe von Zuwanderern für Zuwanderer - und natürlich auch für alle anderen, die in den Wohnquartieren leben.
Michael Kiefer
© Qantara.de 2010
Michael Kiefer ist Publizist und Islamwissenschaftler. Mit seiner Kollegin Irka-Christin Mohr veröffentlichte er jüngst ein Buch zum "Islamunterricht an staatlichen Schulen", das im Verlag transcript (Bielefeld 2009) erschienen ist.
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