Ein Staatsanwalt der alten Schule




Geboren ist Yalcinkaya 1950 als Sohn einer kurdisch-türkischen Familie in Urfa, einer der ältesten Städte der Türkei nahe der syrischen Grenze mit einer hohen Analphabetenquote. Die Familie hat dort einen guten Ruf.
Immerhin war sein Großvater ein bekannter Scheich und gehörte zum islamischen "Nakschibendi"-Orden an. Prägend war jedoch die Erziehung des Vaters, der ihm als Lehrer die säkularen Ideale Atatürks vermittelte und ihn schon als Jugendlicher aus dem religiös-konservativem Dorf Kara in die Hauptstadt zur Schule schickte.
Somit kommt er aus einer Familie, die sich selbst dem Kemalismus zugewandt hat. In Ankara studierte er Jura und trat bald in die Richterlaufbahn ein, während sich linke und rechte Studentengruppen bekämpften und am 12. September 1980 das Militär zum dritten Mal die Macht übernahm.
Kind der Staatsstreiche
Mit 30 Jahren hat Yalcinkaya zumindest zwei der drei Militärputsche (1960, 1971,1980) sehr bewusst miterlebt. Somit ist er nicht nur ein exemplarisches Produkt der kemalistischen Schule, sondern auch ein Kind der Putsche.
Sorgfältig hat sich der glühende Kemalist, der 1998 als Richter an den Obersten Gerichtshof ("Yargitay") kam und im Jahre 2004 als stellvertretender Generalstaatsanwalt berufen wurde, auf die 162-seitige Anklageschrift vorbereitet.
Schließlich haben viele Gründungsmitglieder der AKP ihre politische Karriere in der verbotenen islamischen Wohlfahrtspartei ("Refah" - 1998) und Tugendpartei ("Fazilet" - 2001) begonnen.
Doch selbst Kritiker der AKP finden seinen Islamismus-Vorwurf nicht stichhaltig genug und verweisen auf eine mögliche persönliche Abrechnung mit der AKP.
Auch habe die Anklageschrift nichts mit "Putschisten vom Schalge der so genannten "Ergenekon" zu tun. Merkwürdig ist nur, warum gerade der Justizminister vor der Veröffentlichung nichts von der Anklageschrift Yalcinkayas wusste.
Profiliert aber hat sich Yalcinkaya bereits im November 2007 mit dem Verbotsantrag gegen die Kurdenpartei DTP mit 20 Abgeordneten im Parlament, der beim Verfassungsgericht anhängig ist. Zudem machte er als einer der schärfsten Gegner des Verfassungsentwurfes der AKP zur Kopftuchreform an den Universitäten einen Namen.
Die wahren Verfechter der Republik
Doch nicht die Parteipolitik und Parteiverbote, sondern die Bekämpfung der Korruption ist sein eigentliches Fachgebiet als Staatsanwalt.
Auch wenn der graumelierte Mann mit dem markant ernsten Gesicht keine Konflikte scheut und persönlich integer und nicht korrumpierbar ist, weil er davon überzeugt ist, dass er und seinesgleichen die wahren Verfechter der Republik sind.
Kritiker verweisen darauf, dass er allein aus formalen Gründen stellvertretend für die schrumpfende national-kemalistische Oberschicht die Verbotsklage stellen musste. Schließlich hat heute weder das Militär noch diese kemalistische Machtelite eine Mehrheit in der Bevölkerung.
Doch bevor "Betonkemalisten" die Macht abgeben sind sie aus Verzweifelung bereit, für "ihren" Laizismus zu kämpfen. Auch wenn dabei das Land in eine sehr prekäre politische Situation manövriert werden könnte.
Semiran Kaya
© Qantara.de 2008
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