Politische Lippenbekenntnisse



Die Schule hat sich bislang nur wenig auf die veränderte deutsche Alltagsrealität eingestellt, die ein gemeinsames Leben mit Migranten einschließt, und ist vorwiegend monokulturell ausgerichtet.
Sowohl die Lerninhalte als auch die Lehrmethoden nehmen kaum Rücksicht auf die Situation und die Belange von Einwanderern, deren Familien mitunter seit über 40 Jahren in Deutschland leben und einen gewichtigen Teil der hiesigen Gesellschaft bilden.
Um die schlechte Stellung von Migrantenkindern im deutschen Schulalltag zu begründen, wird noch immer die Kultur und Religion der Migranten als Erklärungsgrundlage herangezogen, ohne diskriminierende Strukturen in Schulen selbst in Frage zu stellen.
Die benachteiligte Stellung von jugendlichen Migranten in Schule und Beruf lässt sich mittlerweile auch nicht nur auf deren schlechte Deutschkenntnisse zurückführen.
In den Fokus der Aufmerksamkeit sollten gleichfalls die deutschen Ausbildungseinrichtungen treten, die sich immer noch schwer damit tun, Migrantenjugendliche anzunehmen. Auch in diesem Gipfel fanden diese Zustände kaum Erwähnung, ebenso wie die Tatsache, dass selbst diejenigen Migranten, die über einen qualifizierenden Schulabschluss verfügen, allzu oft ohne einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz dastehen.
Chancengleichheit bzw. Gleichbehandlung in Bildung und Ausbildung sowie Arbeitsmarkt und Beschäftigung, setzt immer ein staatliches Handeln voraus.
Solche staatlichen Aufgaben können aber nicht durch prophylaktische Bekundungen des guten Willens wahrgenommen werden. Chancengleichheit entwickelt sich nicht von selbst. Es bedarf konkreter rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen durch den Staat, um eine solche Gleichstellung erreichen und aufrecht erhalten zu können.
Gezielte Förderung
Klassische Einwanderungsländer wie die USA mit ihrem "Affirmative action"-Programm und sogar Großbritannien mit seinem "Race Relations Amendment Act 2000" führen uns eindrücklich vor Augen, dass eine Gleichstellung für Angehörige von ethnischen Minderheiten und Einwanderer nur auf der Grundlage von Gesetzen möglich ist, die Chancengleichheit fördern und garantieren. Ohne diese, kann das wesentliche Problem der Ungleichbehandlung von Migranten nicht behoben werden.
Die geringe Beteiligung von Einwanderern am Bildungs- und Arbeitsprozess ist ein Indiz dafür, dass in der hiesigen Gesellschaft noch immer ethnisch bedingte soziale Ungleichheit vorkommt und die Gesellschaft somit immer noch nicht umfassend durchlässig ist für die Teilhabe von Migranten.
Eine nachhaltige Integrationspolitik muss einerseits das Recht zur kulturellen und religiösen Verschiedenheit stärken, andererseits die Chancengleichheit der Angehörigen von ethnischen Minderheiten sichern.
Gerade in diesen wichtigen Zielen einer effektiven Integrationspolitik kann der Staat seine wahrhaftige Integrationswilligkeit bzw. -fähigkeit unter Beweis stellen. Solange eine solche Politik aber nicht sichtbar ist, wird auch der nationale Integrationsplan keinen Paradigmenwechsel innerhalb der deutschen Integrationspolitik einleiten.
Ülger Polat
© Qantara.de 2008
Ülger Polat ist Migrationsforscherin und Lehrbeauftragte für Interkulturelle Soziale Arbeit an der Fachhochschule Hamburg. Zugleich arbeitet sie als Psychologin in der Sozialarbeit mit türkischen Frauen und Mädchen.
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