Geballte Wut



Deutschlands Botschafter in Ägypten, Bernd Erbel, bemüht sich dieser Tage sichtlich, diesen Vorurteilen entgegenzutreten und die Wogen zu glätten. In Interviews, die er in fließendem Arabisch hält, betont er immer wieder, dass es sich um die Tat eines Einzelnen handelt: "Der Vorfall reflektiert in keiner Weise das allgemeine deutsche Empfinden gegenüber Ägyptern. Die Muslime in Deutschland werden sehr respektiert."
In der ägyptischen Presse wurde wohlwollend aufgenommen, dass Erbel persönlich zum Flughafen fuhr, um die Leiche in Empfang zu nehmen und der Familie sein Beileid aussprach. Er fordert eine härtere Bestrafung, weist aber auch immer wieder daraufhin, dass in Deutschland verschiedene Religionen und Kulturen in Frieden miteinander leben.
Kritik an der eigenen Regierung
Doch viele in Ägypten fragen sich, wo die offizielle Entschuldigung der Kanzlerin bleibt. Aber auch die eigene Regierung wird von den Demonstranten und in den Medien heftig angegangen.
"Als die Fußballnationalmannschaft aus Südafrika zurückkam, wurde sie von Gamal Mubarak am Flughafen empfangen", sagt ein Demonstrant. "Wo war er am Sonntagabend, als Marwa al-Sherbinis Leichnam dort ankam?"
Außenminister Ahmed Aboul Gheit wird vorgeworfen, weder die Interessen al-Sherbinis und ihrer Familie, noch die Interessen Ägyptens zu repräsentieren. Parlamentspräsident Fathi Surour forderte in der regierungsnahen Tageszeitung "Al-Ahram" eine Gesetzesänderung, die es ermöglichen sollte, Kriminelle wie Axel W. in Ägypten vor Gericht zu stellen.
"Wir müssen unsere Bürger im Ausland beschützen können", erklärt der Parlamentssprecher seinen Vorstoß.
Immer wieder werden in Ägypten lebende Deutsche dieser Tage auf den Vorfall in Dresden angesprochen. Die Menschen wollen über den Mord reden, aber auch verstehen wie solch eine Tat in einem Gerichtssaal in Deutschland überhaupt geschehen konnte.
"Meine Studienkollegen sind eigentlich recht schnell davon zu überzeugen, dass der Mann ein Verrückter ist", erzählt eine deutsche Masterstudentin an der Amerikanischen Universität in Kairo.
Jedoch bliebe immer die eine Frage, auf die auch die 28jährige Deutsche keine Antwort findet: Wie konnte dieser Verrückte ganze 18 Mal auf die junge Frau einstechen, ohne das jemand im Gerichtssaal dazwischen ging?
Dies würde zwar nicht laut geäußert, erzählt die Studentin, aber die Frage stehe immer Raum: "Ist es aufgrund fahrlässig unterlassener Sicherheitsmaßnahmen, die man bei Muslimen stillschweigend in Kauf nimmt, weil man die eh nicht so gerne hat?"
Vorurteile über das Leben von Muslimen im Westen
Bei den zahlreichen Gesprächen, die Deutsche dieser Tage mit Ägyptern führen zeigt sich auch, dass es eklatante Wissenslücken und Vorurteile über das Leben von Muslimen im Westen gibt.
"Es sind hauptsächlich sorgenvolle Fragen, bei denen es um die Sicherheit von Muslimen geht", sagt die Studentin. Für viele sei es überraschend zu erfahren, dass knapp 3,5 Millionen Muslime alleine in Deutschland leben, dass sie ihre Religion frei ausüben dürfen und es in allen größeren Städten Moscheen gibt.
Ebenso wie sich in den westlichen Medien das Bild des Muslims als Terrorist und der unterdrückten Frau im Schleier standhaft hält, glauben viele Ägypter, dass Muslime in Europa aufgrund ihrer Religion unterdrückt und diskriminiert werden.
Der Fall Marwa al-Sherbini zeigt deutlich, wie viele Vorurteile und eklatante Missverständnisse über die jeweils andere Kultur auf beiden Seiten existieren, und wie viel kultureller Austausch und Verständigungsarbeit noch vor uns liegen.
Amira El Ahl
© Qantara.de 2009
Amira El Ahl berichtete zwei Jahre lang als Auslandskorrespondentin für den SPIEGEL aus Kairo. Seit 2008 ist sie als freie Korrespondentin im Nahen Osten tätig.
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