Im Fadenkreuz der Nationalisten
Die Forderungen nach Abschaffung des inzwischen berühmt-berüchtigten Strafrechtsparagrafen 301, der eine "Herabsetzung des Türkentums" unter Strafe stellt, werden immer lauter.
Erst durch die Anklagen wegen " Herabsetzung des Türkentums" seien Hrant Dink, Orhan Pamuk und etliche andere zur Zielscheibe der Nationalisten geworden. Doch die Regierung zeigt sich zögerlich: Ministerpräsident Erdogan hat Kritiker zwar zu einem Dialog über eine Reform des Paragrafen eingeladen – eine vollständige Streichung des Straftatbestandes lehnt er allerdings ab.
Offenbar möchte Erdogan vor den Parlamentswahlen im November alles vermeiden, was von der nationalistischen Opposition alles Zugeständnis an die Europäer ausgeschlachtet werden könnte.
Schleppende Aufklärungsarbeit im Fall Hrant Dink
Die Aufklärung der Hintergründe des Mordes an Hrant Dink hat Erdogan als "heilige Pflicht" bezeichnet – doch auch da geht es nicht recht voran. Vielmehr werden immer mehr Details bekannt, die nahe legen, dass der Täter im Staatsapparat Helfer hatte.
So arbeitete einer seiner Freunde als informeller Polizeimitarbeiter. Die Beteiligten prahlten offenbar schon vor Monaten mit ihrem Plan, den "Vaterlandsverräter" Hrant Dink zu erschießen – davon erhielt auch die Polizei Kenntnis, blieb aber untätig.
Doch die Debatte über die Konsequenzen aus dem Mord an Hrant Dink geht in der Türkei mittlerweile über die Forderung nach Polizeischutz für kritische Intellektuelle und Gesetzesreformen hinaus. Kritiker machen auch die Medien für die derzeitige rechte Stimmung im Land verantwortlich. In Fernsehen und Kino erfreuen sich derzeit zahlreiche rechte Rambo-Serien und Heldengeschichten aus dem Ersten Weltkrieg großer Beliebtheit.
Vor allem aber müsse sich etwas in Schule und Erziehung ändern, fordert die Istanbuler Erziehungswissenschaftlerin Neyyir Berktay:
"Wir sind es gewohnt, in dem Anderen, dem Ausländer immer zuerst einen Feind und Schuldigen zu sehen. Außerdem fehlt uns das kritische Denken – ohne zu hinterfragen, glauben wir sofort, was wir hören. Gepaart mit Armut und Hoffnungslosigkeit unter Jugendlichen sind solche Einstellungen eine große Gefahr."
Gunnar Köhne
© Qantara.de 2007
Qantara.de
Türkische Medien zum Mord an Hrant Dink
Täter als Vaterlandsverräter
Obwohl die wenigsten türkischen Medienvertreter Hrant Dinks politische Überzeugungen teilten, waren sie sich zumindest in der Verurteilung des Mordes an dem renommierten Journalisten einig. Antje Bauer fasst die verschiedenen Pressestimmen der letzten Tage zusammen.
Hrant Dinks letzte Kolumne
"Die taubenhafte Furcht meines inneren Geistes"
Hrant Dinks letzter Artikel in der armenisch-türkischen Zeitung "Agos" vom 10. Januar 2007 dokumentiert detailliert das zweifelhafte Gebaren der türkischen Justizbehörden in seinem Fall.
Tabuthemen in der Türkei
Willkürlicher Ermessensspielraum
Immer wieder werden türkische Intellektuelle angeklagt, weil sie vermeintliche Tabuthemen verletzt haben. Häufig heißt die Anklage "Beleidigung des Türkentums", Instrument der Anklage ist der berüchtigte Paragraph 301. Jürgen Gottschlich über Tabus, die längst keine mehr sind