Kritischer Geist im Land der Wahhabiten




2002 geriet al-Gosaibi erneut ins Kreuzfeuer der Kritik, als ein Gedicht von ihm bekannt wurde, in dem er die palästinensische Selbstmordattentäterin Ayat Akhras verherrlichte, die sich auf einem belebten Marktplatz in die Luft gesprengt und dabei zwei Israelis mit in den Tod gerissen hatte.
Das Gedicht richtete sich aber auch gegen die Untätigkeit der arabischen politischen und intellektuellen Eliten, die sich nach al-Gosaibis Meinung davor drückten, in der Palästina-Frage Verantwortung zu übernehmen. Al-Gosaibi, der damals Botschafter in London war, wurde von seinem Posten abberufen und zum Arbeitsminister im Königreich ernannt.
Schwierige Reformen
Als Arbeitsminister versuchte al-Gosaibi neben dem Problem der explosionsartig steigenden Jugendarbeitslosigkeit besonders die Beschäftigung von Frauen zu fördern, was ihn schnell an Popularität einbüßen ließ. Immer wieder eckte er dabei mit seinen für saudische Verhältnisse liberalen politischen und religiösen Ideen an.
Reformen, so sagte al-Gosaibi 2005 im Zuge der ersten - und bisher auch letzten - Gemeindewahlen, seien in Saudi-Arabien nur sehr gemächlich durchzusetzen: "Man muss sich zunächst auf einen brauchbaren Konsens in der Gesellschaft einigen, bevor der Weg der Reformen weiter begangen werden kann."
Als Autor und Politiker bewegte sich al-Gosaibi stets auf einem schmalen Grad: Die Regierung, der al-Gosaibi selbst fast 35 Jahre angehörte, verbot seine Bücher im Königreich - eine Ironie, die das vorsichtige Vorgehen der saudischen politischen Elite deutlich macht.
Liebe und Tabus
Al-Gosaibi veröffentlichte fast 60 Romane, Gedichtsammlungen und philosophisch-politische Werke. Zu seinen bedeutsamsten Romanen gehören "Shuqqa al-Hurriya" (ins Englische übersetzt: "An Apartment Called Freedom) und Saba'a ("Seven").
Liebe, Tabus und die Verfassung der arabischen Staaten sind die vorherrschenden Themen seiner Werke.
Immer wieder behandelte al-Gosaibi in seinen Romanen und Gedichten auch die Beziehung zwischen "dem Westen" und der arabischen Kultur und kritisierte ausführlich die unüberlegte Übernahme von Kultur- und Konsumgütern anderer Gesellschaften. Besonders in "Saba'a" verurteilt er die im "Westen" ausgebildete arabische Elite, die sich den einfachen Menschen überlegen fühle, anstatt ihr Wissen zur Verbesserung der Lebensumstände in ihren Heimatländern zu nutzen.
In der von Bezügen auf die arabische Literatur und griechische Mythen reichen Erzählung von "Saba'a" buhlen sieben männliche Charaktere aus Araby um eine Nacht mit der Journalistin Gulnar, eine der starken Frauencharaktere in al-Gosaibis Werken. In ihren Erzählungen, die sie nacheinander in sieben Nächten Gulnar darbieten – eine geschickte Abwandlung der Erzählungen von "Tausendundeiner Nacht" - präsentieren sich die Männer als egoistische, korrupte und habgierige Charaktere. Folgerichtig sterben alle sieben am Ende des Werkes an Alkohol und Drogen, des Betrugs und Erniedrigung der Frauen schuldig.
Späte Anerkennung
Erst vorletzte Woche veröffentlichte der neue saudische Informationsminister Abdulaziz Khoja auf seiner Facebook-Seite – man verdeutliche sich einmal dieses Paradox – eine Erklärung, mit der al-Gosaibis Werke in Saudi-Arabien von der schwarzen Liste gestrichen wurden. Die Gedichte des Informationsministers, selbst Dichter, bleiben derweil verboten. Praktisch über Nacht überschwemmten al-Gosaibis Werke daraufhin die Buchhandlungen des Königreichs.
Ghazi al-Gosaibi erlag am Sonntag in Riad seiner langen Krebserkrankung. Er galt als eine der schillerndsten saudischen Persönlichkeiten, als bedeutsamer arabischer Autor und relativ liberaler Denker, der den schwierigen Balanceakt zwischen Reform und Tradition in Saudi-Arabien lange Jahre erfolgreich meisterte.
Hanna Labonté
© Qantara.de 2010
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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