Übergangsphase im Bürgerkrieg


Die neuen Stammesmilizen haben das Kräftegleichgewicht in der irakischen Politik nachhaltig erschüttert. Im sunnitischen Milieu ist mit ihnen ein neuer politischer Akteur entstanden, der nachdrücklich Macht und Einfluss einfordert.
Insbesondere in der Provinz Anbar wehren sich die Stammesmilizen gegen die starke Stellung der Irakischen Islamischen Partei in der Provinzregierung. Sie fordern die Absetzung der Provinzregierung und eine Beteiligung an der Macht. Dieser Konflikt schwächt das ohnehin zerstrittene sunnitische Lager und erschwert es ihm, effektiv auf die Politik der Zentralregierung Einfluss zu nehmen.
Bürgerkriegspartei der Zukunft?
Die von Schiiten und Kurden kontrollierte Zentralregierung Maliki betrachtet die Stammesmilizen schlichtweg als sunnitische Terroristen, die sich aus rein taktischen Gründen zeitweilig geläutert zeigen.
Tatsächlich waren sunnitische Aufständische und Stammesvertreter auf die USA zugegangen, weil sich 2006 abzeichnete, dass sie ihren schiitischen Gegnern in Bagdad hoffnungslos unterlegen und weil sie nur durch diese Kehrtwende eine vollständige Niederlage abwenden konnten. Deshalb lehnen viele Politiker eine Integration dieser Einheiten in die Polizei und das Militär ab.
Insgesamt ist in Bagdad die Sorge verbreitet, dass die Amerikaner hier eine Bürgerkriegspartei der Zukunft heranzüchten, auf die die schiitischen Milizen mit entsprechenden Vorbereitungen reagieren werden. Sollten die neuen Milizen allerdings nicht in die Sicherheitskräfte integriert werden, drohen sie mit einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes.
Stammesmilizen und Zentralregierung
Eine Lösung des Problems der Stammesmilizen wäre nur dann möglich, wenn die Regierung Maliki auf die sunnitischen Organisationen zuginge und sich bereit zeigte, zumindest einige von ihnen effektiv an der Macht in Bagdad zu beteiligen. Bisher ist die Politik der Zentralregierung jedoch von beharrlicher Kompromisslosigkeit geprägt.
Statt auf eine Lösung zuzusteuern, scheinen sich die innenpolitischen Konflikte in Bagdad verfestigt zu haben. Die politischen Lager stehen sich weiterhin unversöhnlich gegenüber:
Auf der einen Seite die Regierung Maliki, die seit Sommer 2007 auf eine faktische Koalition aus dem schiitischen Irakischen Islamischen Hohen Rat, der schiitischen Daawa-Partei und den Kurdenparteien KDP und PUK zusammengeschrumpft ist. Ihr gegenüber stehen unter anderem die Sadr-Bewegung, die Irakische Liste Iyad Allawis und die sunnitischen Parteien im Parlament.
Nur einige Teile der sunnitischen Konsensfront, vor allem die Islamische Partei, scheinen bereit zu sein, mit der Regierung zu kooperieren, wenn diese denn ihre Politik zumindest teilweise korrigieren sollte.
Zweifelhafte Versöhnung
Anfang 2008 verabschiedete das Parlament zwar mehrere wichtige Gesetzesvorhaben, die als Gradmesser für die Bereitschaft der Regierung zur Versöhnung insbesondere mit den Sunniten gelten. Dennoch sind erhebliche Zweifel angebracht, ob die Implementierung der Gesetze diesem Ziel auch wirklich gerecht wird.
Zumindest die sunnitische Seite steht der Regierung mit berechtigtem Misstrauen gegenüber. Sollten im Jahr 2008 keine substantiellen Fortschritte erzielt werden, die auch eine Einbindung der Stammeskräfte ermöglichen, stehen nicht mehr nur auf schiitischer, sondern jetzt auch auf sunnitischer Seite die Milizen bereit, den Bürgerkrieg fortzusetzen.
Guido Steinberg
© Qantara.de 2008
Dieser Artikel ist eine gekürzte und aktualisierte Version von: "Trägt die neue Strategie im Irak? Anhaltender politischer Stillstand gefährdet die Erfolge bei der Aufstandsbekämpfung", Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Januar 2008 (SWP-Aktuell 9/2008)
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