Ein Opfer politischer Machtspiele?



Samandar fühlt sich wütend und hilflos. Seit Wochen protestiert er gegen die Praktiken der Behörden in Mazar-e Scharif. Dort wurde vor rund drei Monaten der Journalismus-Student und Reporter der lokalen Tageszeitung "Jahan-e noh" (Neue Welt) ohne Haftbefehl von Mitarbeitern des Geheimdienstes verhaftet.
Kambakhsch wird vorgeworfen, einen bestimmten Aufsatz, der den Islam beleidige, unter den jungen Leuten in der Universität verteilt zu haben. Er gibt zu, einen islamkritischen Artikel aus dem Internet mit dem Titel "Frauenfeindliche Verse des Korans" von einem Autor namens Arasch Bekhoda gelesen und einigen Freunden gegeben zu haben.
Er lehnt es aber ab, dies mit der Absicht getan zu haben, dem Islam zu schaden. In dem Artikel, der von einer tatsächlich islamfeindlichen Internet-Seite stammt, werden Koran-Versen zitiert und undifferenziert als frauenfeindlich interpretiert.
Unterdrückung der freien Meinungsäußerung
Solche Angriffe könne der afghanische Staat nicht hinnehmen, lautete die Meinung des Rates der Islamgelehrten in Mazar-e Scharif. Rahimullah Samandar erklärte, dass er in diesem Punkt mit den Gelehrten einer Meinung sei, doch unterstellt er ihnen auch politische Absichten:
"Sie wollen, dass wir nicht nur auf das Recht der freien Meinungsäußerung verzichten, sondern auch darauf, etwas zu lesen und darüber, mit unseren Freunden zu diskutieren. Das geht zu weit! Das ist doch blanke Unterdrückung."
Samandar und seine Freunde sehen nicht nur den jungen Journalisten Kambakhsch an den Pranger gestellt, sondern auch die demokratischen Errungenschaften der letzten sechs Jahre. Vielen mächtigen konservativen Kreisen, angeführt von ehemaligen Warlords, ist die Pressefreiheit in Afghanistan ein Dorn im Auge.
Für ihren Geschmack werden zu viele und zu lästige Fragen gestellt. Sie wollen nicht sprechen über ihre Rolle in den Jahren des Bürgerkrieges, in denen viele Ortschaften zerstört und zehntausende Menschen getötet wurden. Sie sehen sich gern als "Mujahidin", als Gotteskrieger und wahre Verteidiger des Islam und des Vaterlandes. Sie werfen den Medien Missachtung der islamischen Grundsätze und afghanischen Traditionen vor.
"Keule des Islam"
Mit der "Keule des Islam" in der Hand, wie Samandar es formuliert, wird in regelmäßigen Abständen gern auf die Presse-Vertreter geschlagen. Bis jetzt wurde einigen Journalisten, die es gewagt hatten, sich islamkritisch zu äußern, Gotteslästerung vorgeworfen. Ein Vergehen, das laut der Islamauslegung der Fundamentalisten nur mit dem Tod bestraft werden kann. Aus ihrer Sicht ist es also nur Recht, dass Parwez Kambakhsch nun die Höchststrafe bekam.
Dabei wird die Begründung des Gerichts auch von couragierten und gemäßigten Islam-Gelehrten, wie etwa Ayatullah Muhseni, in Zweifel gezogen: "Wenn jemand den Propheten des Islam wissentlich beleidigt hat, so sagt die Scharia, soll er mit dem Tode bestraft werden. Dies trifft aber nicht auf jemanden zu, der einen Aufsatz, den er selbst nicht geschrieben hat, nur gelesen und anderen gegeben hat", meint Muhseni.
Diese Worte können im Moment keine Hilfe für den verurteilten Journalisten sein. Er braucht dringend politische Hilfe, sagt Rahimullah Samandar. Der afghanische Präsident allein kann einen zum Tode verurteilten begnadigen, doch die Führung in Kabul schweigt bislang zu diesem Fall.
Ratbil Shamel
© DEUTSCHE WELLE 2008
Qantara.de
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