Liebe statt Terror
Wenn Sicherheitsexperten davon sprechen, dass die Gefahr von Terroranschlägen vor der Bundestagswahl steige, begründeten sie das auch mit "angeschwollenem Hintergrundrauschen". Unterm anderem ist damit die zunehmende Zahl an Drohvideos im Internet gemeint.
Eine neue Studie der amerikanischen Harvard-Universität kann zwar nicht widerlegen, dass islamische Extremisten und Terroristen das Netz als Plattform zur Verbreitung ihrer radikalen Ansichten und die Organisation weltweiter Anschläge nutzen. Doch sie räumt durch eine Analyse von mehr als 4000 arabischen Blogs mit einigen verbreiteten Vorurteilen auf.
Allen voran: das Netz ist kein Hort für Terror-Sympathisanten. Weniger als ein Prozent der arabischen Blogger befürworten Terrorismus, während sich fast jeder Fünfte explizit dagegen ausspricht. "Wir waren selbst überrascht, dass wir keine Blogs rund um Extremismus oder Dschihad gefunden haben", sagte Bruce Etling, einer der vier Autoren, bei der Vorstellung der Studie.
Mehr wie ein Internet-Tagebuch
Wenn über Terrorismus geschrieben wird, dann vorwiegend kritisch, stellen die Forscher des Berkman Centers fest. Doch eigentlich beschäftigen andere Themen die Blogger aus 18 arabischen Ländern viel mehr. Am häufigsten schreiben sie, ganz der Idee eines Internet-Tagebuchs entsprechend, über Persönliches: Arbeit, Liebe, Familie.
An zweiter Stelle kommt die nationale Politik, und dabei steht die Kritik an den eigenen politischen Führern im Vordergrund. Die Kriege in Afghanistan und im Irak oder ganz pauschal die Politik der USA erzielen nicht annähernd die gleiche Aufmerksamkeit – das dürfte das amerikanische Außenministerium überraschen, das die Studie finanziert hat. Das einzige internationale Thema, das auch in der arabischen Blogosphäre omnipräsent ist, ist der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern und die Situation in Gaza.
Internetzensur in Syrien
Ihre kritische Haltung müssen einige arabische Blogger jedoch teuer bezahlen. In Ägypten und Saudi-Arabien wurden mehrfach Blogger verhaftet, und allein in Syrien sitzen laut Reporter ohne Grenzen mindestens fünf Online-Dissidenten im Gefängnis.
Die Organisation, die sich weltweit für Pressefreiheit einsetzt, führt eine schwarze Liste von "Feinden des Internets". Vier von zwölf der angeprangerten Staaten stammen aus dem arabischen Raum, auch Iran steht auf der Liste.
Kein Wunder also, dass in der arabischen Welt passwortgeschützte Foren, Chatrooms und soziale Netzwerke populärer sind als öffentliche Blogs. Diese Schattenöffentlichkeit entzieht sich jedoch nicht nur der Kontrolle der Regime, sondern auch dem Blick der Forscher.
Inwieweit die Ergebnisse der Blog-Analyse die öffentliche Meinung spiegeln, ist deshalb unklar. Fakt ist aber, dass im Internet Regierungskritik eher möglich ist als in den oft staatlich kontrollierten Medien. So hat etwa Ägypten die größte Blogger-Gemeinschaft, säkulare Reformer sind ebenso vertreten wie die praktisch verbotene Muslimbruderschaft. Auffällig ist auch, dass im konservativen Saudi-Arabien besonders viele Frauen das Internet als Forum nutzen.
"In Ägypten werden Blogger fast schon verehrt", sagt Saad Ibrahim, ein ägyptischer Demokratie- und Menschenrechtsaktivist. Dass die Regierung sie verfolgt, verhaftet und sogar foltert, stärke die öffentliche Unterstützung nur.
Ganz andere Sorgen machen sich die Blogger im Irak. So merkt Raed Jarrar an, dass die Infrastruktur so schlecht sei, dass viele Menschen überhaupt keinen Zugang zum Internet haben.
Silke Lode
© Süddeutsche Zeitung 2009
Qantara.de
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