Irans leere Moscheen



Doch die Machthaber bleiben taub für diesen Ansatz. Statt sich um die drängenden Probleme des Landes zu kümmern - Arbeitslosigkeit, fehlende Studienplätze und Korruption -, spiele Präsident Ahmadinejad den weltweiten Führer der Entrechteten, kritisiert die Computeringenieurin Bahareh.
"Im Islam dreht sich alles um Fairness", sagt die 31-Jährige. "Deshalb erwartest du, dass deine islamische Regierung gerecht ist. Aber sie ist es nicht. Irgendwann denkst du schlecht von deiner Religion.' Wenn das der Islam ist, will ich keine Muslimin sein.' Und so verlieren wir unsere Religion."
Bahareh hat sich ihren Glauben zurückerobert, indem sie sich intensiv mit dem Islam beschäftigt hat. Sie betet, fastet und trägt ihr Kopftuch aus Überzeugung, also auch außerhalb des Iran.
Von staatlich verordneten Kleidervorschriften hält die berufstätige junge Frau nichts: "Niemand trägt hier ein richtiges Kopftuch. Die Frauen ziehen irgend etwas über, weil sie Angst vor der Polizei haben. Wenn man etwas tun muss ohne daran zu glauben, dann wirkt sich das auf das ganze Leben aus. In der Schule, an der Universität, bei der Arbeit - man muss ständig etwas vorspielen."
Party statt Predigt
Viele junge Menschen flüchteten sich in ein Privatleben voller Partys, Drogen und westlichem Styling, erzählt Bahareh. Die oft verzweifelte Suche nach persönlicher Freiheit und Spaß führe zu Egoismus und Oberflächlichkeit.
"Wir haben alle zwei Gesichter", sagt Shahla Lahedji, vor 25 Jahren Irans erste Verlegerin, "eines nach außen und eines nach innen. Keiner weiß, welches das wahre Gesicht ist."
Für Lahedji ist die iranische Gesellschaft krank: "Normalerweise bringst du deinen Kindern bei, nicht zu lügen. Aber hier sagen Eltern zu ihren Kindern, du musst lügen. Wenn dich jemand fragt, ob wir Satellitenfernsehen haben, sag' nein. Wenn sie fragen, ob deine Eltern Alkohol trinken, sag' nein."
"Die Jugendlichen hassen ihre Gesellschaft", sagt die 64-Jährige. "Sie hassen auch sich selbst. Sie hassen ihre Familie. Und sie fragen ihre Eltern vorwurfsvoll: Warum habt ihr diese Revolution gemacht?"
Von der Revolution verraten
Die Eltern sind Schuld an der Doppelmoral, denn sie waren es, die 1979 Imam Khomeini zujubelten. Fast alle Iraner beteiligten sich damals an der Islamischen Revolution. Es ging um einen freien, unabhängigen und selbstbewussten Iran. Heute fühlt sich Laheji von der Revolution verraten. Die Menschen wollten Freiheit und bekamen eine neue Form von Totalitarismus.
Weil die religiösen Führer im Iran stets das letzte Wort haben, könnten sie politische Reformen jederzeit blockieren, erklärt Redakteur Tavana, der mehrere Monate in Berlin gelebt hat. Das System brauche keinen Druck von außen, sondern eine Erneuerung von innen.
"Selbst intellektuelle, gebildete und westlich lebende Familien haben im Iran religiöse Überzeugungen und halten daran fest", sagt Tavana. "Der Islam ist Teil ihres Lebens, ihrer Tradition, ihrer Geschichte und Wurzeln." Deshalb würde ein Säkularismus nach europäischem Vorbild nicht zum Iran passen.
Die Islamische Republik Iran müsse umdenken, meint auch Wirtschaftsprofessor Leylaz. Eine Religion zur Staatsideologie zu machen, bedeute ihren Tod. "Wenn wir Muslime sein wollen, sollte sich der Islam nicht in die Politik einmischen. Religion und Politik sind zwei verschiedene Sachen. Indem wir sie voneinander trennen, retten wir unsere Religion."
Kristin Helberg
© DEUTSCHE WELLE 2007
Qantara.de
Jugend im Iran
Die angepasste Generation
Die Jugend im Iran ist so gut ausgebildet wie noch nie. Doch nur wer seine Beziehungen zum Regime spielen lassen kann, hat eine Perspektive, wie Kambiz Tavana aus Teheran berichtet.
Iranische Frauen und Präsident Ahmadinejad
"Wir können nicht optimistisch sein"
Nicht nur in der westlichen Welt hat die Wahl Ahmadinejads zum iranischen Staatspräsidenten Beunruhigung ausgelöst. Auch viele iranische Frauen fragen sich, ob er Khatamis Versuche, einige politische und soziale Freiheiten einzuführen, wieder zunichte machen wird. Von Jamsheed Faroughi
Iran
Die entzauberte Revolution
Das politische System in Iran bleibt auch nach über 26 Revolutionsjahren erstarrt. An einer wirklichen Reform im Rahmen der "Herrschaft der Rechtsgelehrten" zweifeln nicht nur junge Iraner, sondern auch Teile der Geistlichkeit, wie Ali Sadrzadeh berichtet.