Es gibt sie, die orientalischen Schindlers

Im Zweiten Weltkrieg haben Muslime wie Si Kaddour Benghabrit oder Abdul Hussain Sardari viele Juden vor der Deportation gerettet – mit großem Geschick und unter Einsatz ihres Lebens. Doch ihr selbstloser Einsatz ist längst in Vergessenheit geraten, wie Emran Feroz berichtet.

Von Emran Feroz

Der Nahostkonflikt wird nicht selten einseitig als "Religionskrieg" gedeutet, was nicht zutreffend ist, da Juden und Muslime schon immer und für über einen längeren Zeitraum hinweg friedlich zusammenlebten – sowohl im Orient wie im Okzident. Allerdings sind Beispiele für diese friedliche Koexistenz oder sogar gegenseitige Hilfe weit weniger bekannt als jene, die angeblich den ewigen Kampf der Kulturen belegen.

Während der Zeit des nationalsozialistischen Rassenwahns riskierten manche Muslime ihr Leben, um dasjenige von Juden zu retten. Doch ihr couragierter Einsatz ist längst vergessen. Ein solcher Fall ereignete sich beispielsweise an der großen Moschee in Paris. Die "Grande Mosquée de Paris" wurde 1926 eröffnet und zählt wohl zu den schönsten islamischen Gotteshäusern Europas. Sie gilt als Zeichen des Dankes Frankreichs an jene Muslime, die einst bei den "Tirailleurs", den kolonialen Hilfstruppen, gegen das Deutsche Reich kämpften. Damals starben 70.000 Muslime unter französischer Flagge.

Nach der deutschen Invasion Frankreichs 1940 waren die Juden auch dort in Lebensgefahr. Damals war Si Kaddour Benghabrit der Rektor und vorstehende Imam der Pariser Moschee. Er war algerischer Abstammung. So kam es, dass viele Mizrachim, orientalische Juden, sich Schutz suchend an ihn wandten. Unter ihnen war auch der junge Salim Halali, der später ein beliebter Sänger und Schauspieler werden sollte und 2005 starb. Benghabrit nahm viele dieser Juden in der Moschee auf und tarnte sie, indem er ihnen eine muslimische Identität verschaffte.

Die "Hall of Names" im Yad Vashem in Jerusalem; Foto: Mrnrhem Kahana/AFP/Getty Images
In der „Hall of Names“ werden Fotos von Juden gezeigt, die während des Nazi-Regimes ums Leben kamen. In der kreisförmigen Haupthalle werden umfangreiche Sammlungen von „Gedenkblättern“ aufbewahrt, die kurze biographische Notizen jedes Holocaust-Opfers enthalten. Derzeit stehen in den Regalen zwei Millionen solcher Blätter; der Raum bietet Platz für sechs Millionen.

Da sich orientalische Juden äußerlich nicht sonderlich von ihren muslimischen Brüdern und Schwestern unterscheiden, die gleiche Sprache sprechen und ähnliche Namen tragen, fiel es Benghabrit nicht allzu schwer, die Besatzer in die Irre zu führen. Er besorgte jedem Einzelnen von ihnen Dokumente, die ihre angeblich muslimischen Wurzeln belegten, und bewahrte sie damit vor der Deportation ins Konzentrationslager. Es ist nicht sicher, wie viele Juden Benghabrit erfolgreich verstecken konnte, es könnten bis zu 2.000 gewesen sein. Unter ihnen sollen sich viele Widerstandskämpfer sowie zahlreiche Frauen und Kinder befunden haben.

Iranische Juden als Arier

Ein weiterer Mann, der während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls in Paris viel riskierte, war Abdul Hussain Sardari, der zu jener Zeit das iranische Konsulat leitete. Er konnte rund 2.000 iranische Juden, die damals in Frankreich lebten, retten, indem er die Nationalsozialisten mit Hilfe ihrer eigenen Propaganda in die Irre führte. Da die Nazis die Iraner als Arier betrachteten, behauptete Sardari, dass iranische Juden im Grunde genommen auch Arier seien.

Bedauerlicherweise sind die Taten Sardaris mittlerweile nicht nur in Europa in Vergessenheit geraten, sondern auch in der Islamischen Republik Iran. Sowohl die Geschichte Benghabrits als auch jene Sardaris erinnert an jene Oskar Schindlers. Schindler rettete durch seine heldenhafte Aktion weit über tausend Juden. Über ihn wurde ein brillanter, mehrfach ausgezeichneter Film gedreht, nach dem Krieg wurde Schindler für sein Handeln geehrt, unter anderem erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

Außerdem wird an ihn in Yad Vashem, der "Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust" in Jerusalem, erinnert. Die Namen Si Kaddour Benghabrit und Abdul Hussain Sardari kennt dagegen fast niemand. Beide Männer, die so viele Menschen wie Schindler retteten, vielleicht sogar mehr, und dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, werden in Yad Vashem nicht geehrt.

Yad Vashem auf Zeitzeugensuche

In der "Allee der Gerechten unter den Völkern", in der an die heldenhaften Taten in den Zeiten des Holocausts erinnert wird, sind fast 24.000 Namen verzeichnet. Unter ihnen befinden sich nur sehr wenige Muslime. Im vergangenen Jahr nahm Yad Vashem den ersten Araber in diese Liste auf. Das war Mohammad Helmy, ein ägyptischer Arzt, der in den vierziger Jahren in Berlin gelebt hatte. Während dieser Zeit versteckte er jüdische Freunde in seiner Wohnung. Aufgrund seiner "nichtarischen" Abstammung hatte er selbst mehrfach Probleme. Alle Juden, die Helmy versteckte, überlebten dank seines Einsatzes.

Yad Vashem Direktorin Irena Steinfeldt; Foto: picture-alliance/dpa
Yad Vashem Direktorin Irena Steinfeldt präsentiert die Medaille und eine Auszeichnung, die posthum an Dr. Mohamed Halmy verliehen wurde. Hamly war ein ägyptischer Physiker, der zur Zeit des Zweiten Weltkrieges in Deutschland lebte und half, Juden schützend zu verstecken um sie vor einer Deportation in die Konzentrationslager zu bewahren.

Doch das historische Gedenken steht immer auch in Bezug zu aktuellen politischen Erwägungen. So sind mit der Verschärfung des Nahostkonflikts und nach der islamischen Revolution im Iran solche muslimischen Judenretter in Vergessenheit geraten. Yad Vashem bestreitet allerdings, dass dies mit Absicht geschehe und verweist immer wieder auf jene rund 60 Muslime, die sich auf der Liste finden lassen.

Si Kaddour Benghabrit ist dort jedoch weiterhin nicht zu finden. Als der Krieg vorbei war, berichteten einige Personen, die damals Schutz in der Pariser Moschee fanden, von seinen Rettungsaktionen. Sie wollten, dass die nächsten Generationen erfahren, dass auch Araber viele Juden vor dem Tod bewahrten. Yad Vashem hat in der Vergangenheit versucht, Überlebende zu finden oder deren Nachkommen aufzuspüren. Es wurde auch nach einschlägigen Dokumenten aus jener Zeit gesucht.

Leider war bis zum heutigen Tage die Suche nach Zeitzeugen oder Dokumenten erfolglos. "Falls solche Beweise noch ausfindig gemacht werden, wird man es sicherlich in Erwägung ziehen, Si Kaddour Benghabrit in der 'Allee der Gerechten unter den Völkern' aufzunehmen", heißt es aus Yad Vashem. Dasselbe gilt wohl für den iranischen Diplomaten Abdul Hussain Sardari.

Nichtsdestoweniger zeigt das Handeln beider Männer, dass Muslime und Juden sich mehr als nur gut verstehen. Gerade in der heutigen Zeit, vor dem Hintergrund des abermals eskalierenden Konflikts im Nahen Osten, ist es wichtig, solche Erinnerungen zu bewahren und wiederaufleben zu lassen.

Emran Feroz

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