Arm in Arm durch die entfesselte Gewalt



In einer der groteskesten Szenen kommen Vertreter der muslimischen wie der koptischen Gemeinde zu ihren vermeintlichen Glaubensbrüdern nach Hause. Beide waren kurz zuvor mit ihren Familien – jeweils ohne vom Versteckspiel des anderen etwas zu ahnen – auf dieselbe Etage eines Hauses gezogen.
Die Vertreter der Gemeinden statten ihnen zeitgleich einen Besuch ab, um sie willkommen zu heißen. Die einen tragen ihre schwarzen koptischen Kutten, die anderen weite weiße muslimische Gewänder.
Die Kopten schwingen Weihrauchschüsseln und rezitieren wie besessen ihre ihnen jeweils Heiligen Bücher – die Muslime beten. Die Kopten haben ihre Tamburine mitgebracht – den Muslimen bebt die Stimme, als sie den Koran rezitieren.
Beten um die Wette
Dieses "Wettbeten" dringt bis hinunter auf die Straße. Passanten bleiben verwundert stehen und glauben, das Haus brennt, weil dicke Weihrauchschwaden aus den offenen Fenstern ziehen.
Immer wieder überzeichnet der Film Alltagsfrömmelei bis in die Groteske. Es ist der in Ägypten inzwischen nicht unübliche Wahnsinn, der entsteht, wenn Religion immer "obsessiver" praktiziert wird.
Doch die Gründe für die Spannungen zwischen Christen und Muslimen im Land am Nil nennt der Spielfilm nicht. Nach Ansicht des politischen Publizisten Sameh Fawzi, einem koptischen Christen, sind diese Konflikte auch gar nicht religiöser Natur:
"Die religiöse Maske muss fallen!"
"Jedes dieser Vorkommnisse hat seine eigenen Ursachen", erklärt Fawzi. "Die religiöse Spannung, die existiert, verwandelt alle normalen Auseinandersetzungen in religiös aufgeladene Konflikte, sobald es sich bei den Beteiligten um Kopten und Muslime handelt. Diese religiöse Maske muss fallen. Dann erkennen wir die ökonomischen, politischen und sozialen Ursachen und sehen, dass die Konflikte mit Religion nichts zu tun haben."
Dieser Ansicht ist auch der niederländische Soziologe Cornelis Hulsmann vom Zentrum für arabisch-westliche Verständigung ("Center for Arab-West Understanding") in Kairo, der seit 1994 in Ägypten lebt.
Er sei Hunderten von Diskriminierungsfällen nachgegangen und zu der Erkenntnis gelangt, dass die Interessenkonflikte zumeist komplizierter waren als in den Medien dargestellt. Der religiöse Faktor sei oft erst später hinzugekommen.
Die Menschen im Land, glaubt der Publizist Sameh Fawzi, würden darunter leiden, dass ihnen elementare Bürgerrechte vorenthalten werden, aber nicht unter ihrer Religionszugehörigkeit.
"Die Christen in Ägypten werden so lange nicht in Frieden und Harmonie leben können, solange alle Menschen im Land unterdrückt werden", so Fawzi.
Das Filmplakat zum Film "Hassan wa Morqos" verdeutlicht diesen Gedanken symbolisch: Es zeigt den Muslim Hassan und den Christen Morqos mit einer Handschelle aneinander gefesselt.
Bewegte Bilder für ein Massenpublikum
Der Film selber geht nicht soweit in die Tiefe. Stattdessen ruft er, sehr plakativ, zum friedlichen Zusammenleben auf. Hier erinnert der Streifen an belehrendes Agitprop-Theater, das einfache, eindeutige Statements formuliert.
Es handelt sich bei dem Film um keine intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem brisanten Thema – jedoch ein unerheblicher Mangel, denn der Film richtet sich an ein Massenpublikum, an jene Durchschnittsägypter, die auch die Zielgruppe der zahllosen, vor allem muslimischen Kassettenpredigten sind, die die Religionsgruppen gegeneinander aufhetzen.
Am Ende zeigt "Hassan wa Morqos", wie sich Muslime und Christen eine Straßenschlacht liefern. Das Haus von Hassan und Morqos gerät dabei in Brand. Der Christ rettet die Frau und die Tochter des Muslims aus dem Feuer – eine Szene, bei der in Kairoer Kinos das Publikum applaudiert.
Genau so wie bei jener Einstellung, bei der beide Familien sich einhaken und "standhaft interreligiös" Arm in Arm durch die entfesselte Gewalt in den Abspann des Filmes laufen. Auch hier kommt es zu Applaus in einigen Filmtheatern.
Jürgen Stryjak
© Qantara.de 2008
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