Künstlerinnen wagen Experimente
Bita Fayyasi ist Bildhauerin und Mitglied einer Künstlergruppe, die mit ihrer Kunstaktion “On the road” das Experiment wagte, Kunst auf die Strasse zu bringen. Nach einer vierwöchigen Arbeitsphase entstand die Idee, jeweils zwölf Skulpturen auf zwei Lieferwagen durch den Verkehr Teherans rollen zu lassen. Zuvor wurden zweihundert E-Mails verschickt, wo und wann die Wagen in der Stadt anhalten und Events stattfinden sollen. Eine Erlaubnis gab es erst einen Tag vor der geplanten Wanderausstellung, der “Travelling exhibition”, erzählt die Initiatorin Bita Fayyasi:
“Wir entschieden uns, den Direktor des Teheraner Museums für zeitgenössische Kunst, Dr. Samjasa, zu informieren. Von ihm kam dann die Idee, uns einen offiziellen Brief mitzugeben, wer wir sind und was wir machen – für den Fall, dass wir in eine Polizeikontrolle geraten. Während der ganzen Aktion fuhr ein Polizeiwagen nur einige Minuten hinter uns und drehte dann ab. Es passierte somit gar nichts.”
Zum ersten Mal seit der Revolution Kunst auf der Strasse
Die Aktion war eine außergewöhnliche Erfahrung für die Künstlergruppe. Denn sie stieß auf begeisterte Resonanz beim Publikum. “Einfach jeder war interessiert, und es kamen herrliche Kommentare. Uns war wichtig, die Öffentlichkeit der Strasse mit etwas ganz anderem zu konfrontieren, als sie normalerweise zu sehen gewohnt sind, wie beispielsweise in Geschäften, nämlich Künstler, die aus ihren Studios kommen und ihnen ihre Kunst präsentieren“, sagt Fayyasi.
Eine öffentliche Kunstpräsentation auf der Strasse gab es seit der Revolution nicht mehr. So war es jetzt das erste Mal, dass dies gewagt wurde. Das künftige Projekt wird mit den Straßenkindern arbeiten, die überall an den Ampelkreuzungen Kaugummi oder Gedicht von Hafiz verkaufen. Gemeinsam wird man künstlerisch produktiv werden.
Junge Künstler setzen Trends
Die Begeisterung für Film und Kunst nimmt zu – genau wie das Interesse an der Unterhaltungsindustrie via Satellit und Internet. Wenig verwunderlich, in einem Land, wo nahezu 60 % der Bevölkerung unter 30 Jahre alt ist. Neue Trends werden besonders von jungen, unpolitischen Künstlern gesetzt, die in der Islamischen Republik aufgewachsen sind.
Künstlerische Darbietungen wie die Aktion “On the Road” bedürfen eines freien Kunstverständnisses – ein noch steiniger Weg im Iran. Aber auch eine Herausforderung. Um dahin zu kommen wird noch viel lebendiger Austausch, Kreativität und Kraft erforderlich sein. Und Fayyasi möchte mit weiteren Kunstaktionen ihrer Gruppe Leute, die bisher keinen Zugang zur Kunst hatten, darauf vorbereiten:
“Die Menschen hier müssen lernen, und wir müssen sie dabei trainieren. Deshalb gehen wir mit unserer Kunst auch auf die Straße. Wie überall auf der Welt muss die Sichtweise der Leute erst geübt und vorbereitet werden. Natürlich wurden solche Sachen hier noch nicht gezeigt, und die Allgemeinheit hat Schwierigkeiten, sie zu interpretieren. Aber wenn so etwas immer mehr gemacht wird und eine Kontinuität aufweist, werden sie immer mehr davon für sich mitnehmen.”
Die Arbeitsbedingungen bleiben für die Künstlerinnen in der Islamischen Republik weiterhin widersprüchlich. Jedoch hat sich ein reger Austausch verschiedener Kunstgruppen innerhalb des Landes und darüber hinaus entwickelt. Internationale Kontakte knüpfen die Künstlerinnen auf eigene Faust. So wird Bita Fayyasi Ende des Jahres in Südafrika einen dreimonatigen Kinderworkshop leiten. Alles in Allem eine Entwicklung, die hin zur Umsetzung der eigenen Ideen und Experimente geht und es einer traditionell-religiösen Vereinnahmung schwer machen dürfte.
Simin Falsafi
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