Schweres koloniales Erbe

Der Streit über die indische Zivilrechtsfrage beschäftigt bereits seit Jahrzehnten Hindus und Muslime gleichermaßen. Nadja-Christina Schneider informiert über die Entwicklung des islamischen Personenstandsrechts und die säkularen Reformbemühungen auf dem indischen Subkontinent.



Bis heute werden Frauen in vielen muslimischen Gesellschaften rechtlich benachteiligt. Qantara.de zeigt anhand von Länderbeispielen, Porträts, Essays und Berichten den Kampf der Frau um Emanzipation und Selbstbestimmung auf.
Das islamische Personenstandsrecht wurde für sie zum Symbol der "Rückständigkeit und des Reformunwillens" sowie einer "Privilegierung" der Muslime durch die Kongress-Regierung. Entsprechend basierte die Strategie der hindu-nationalistischen "Bharatiya Janata Party" (BJP) auf der "Entlarvung" des nachkolonialen Modernisierungsprojekts als "pseudo-säkular". Demgegenüber inszenierte sich die BJP als die konsequentere Partei und verschaffte sich durch die Forderung nach einem einheitlichen Zivilrecht eine zusätzliche Legitimationsbasis. Die Zivilrechtsdebatte als Medienereignis Als Medienereignis besaß der Streit über die indische Zivilrechtsfrage in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrfach Konjunktur. Stand im Shah Bano-Fall die Unterhaltsfrage im Vordergrund, so entfachte etwa der Sarla Mudgal-Fall (1995) eine neue Diskussion über die "Polygamie", nachdem ein Hindu in der irrigen Annahme zum Islam konvertiert war, als Muslim eine weitere Ehe schließen zu können. Auch wenn Teile der Hindi-Presse eine zentrale Rolle bei der Propagierung des Hindu-Nationalismus spielten, erkannten die Medienstrategen der BJP früh die Bedeutung der englischsprachigen Presse für ihren politischen Erfolg. Vor allem im "Indian Express", der "Times of India" und im "Statesman" fand die Partei ein offenes Forum, um ihre Angriffe gegen die Kongress-Partei und die Muslime zu lancieren und sich so auch in dieser machtvollen Öffentlichkeit zu etablieren. Bis weit in die 90er Jahre hinein gelang es der BJP, den Rahmen zu bestimmen, in dem die Zivilrechtsproblematik medial wahrgenommen und diskutiert wurde. Gezielt werteten sie das einheitliche Zivilrecht zum Schlüsselsymbol der "nationalen Integration" um. Und wer sich dagegen aussprach, wurde als "anti-national" diffamiert. Reformorientierter Dialog im Abseits Diese Umdeutung der Zivilrechtsfrage hatte zur Folge, dass die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau in den Hintergrund gedrängt wurde. Auch wenn die "Unterdrückung muslimischer Frauen" als Standardargument angeführt wurde, um die "Rückständigkeit" der islamischen Zivilisation zu behaupten, geriet das Interesse an einem reformorientierten Dialog zusehends ins Abseits. Auch die Bedrohungsszenarien der "Polygamie" und "Übervölkerung" zeigen, dass es vorrangig um die vermeintliche Privilegierung muslimischer Männer gegenüber den Männern der Mehrheitsgesellschaft ging. Entsprechend wenig Aufmerksamkeit erfuhren die seither eingeführten Veränderungen des islamische Personenstandsrechts. So haben indische Gerichte Wege aufgetan, durch die geschiedenen Musliminnen trotz "iddat"-Regelung eine Kompensation zugesprochen werden kann, etwa indem die Summe, die der Noch-Ehemann während dieser drei Monate zahlen muss, entsprechend hoch festgesetzt wird. Sehr wichtig war auch ein Urteil des Obersten Gerichts aus dem Jahr 2001, das Unterhaltsfortzahlungen über diesen Zeitraum hinaus ermöglicht. Ein Jahr später legte das Oberste Zivil- und Strafgericht in Bombay außerdem fest, dass jede Scheidung gerichtlich nachgewiesen werden muss. Zu den Bedingungen, die erfüllt werden müssen, gehört die Angabe konkreter Gründe für die Scheidung, die Erstattung des Brautgeldes und sämtlicher Besitzgegenstände der Frau sowie Unterhaltszahlungen während des "iddat". Muslimische Frauenorganisationen befürchten, dass der Zeitpunkt für solche Maßnahmen angesichts der Verunsicherung der Muslime durch die Pogrome in Gujarat im Frühjahr 2002 schlecht gewählt sei. Der Proteststurm blieb jedoch aus, vielmehr fand das Urteil zum Nachweis von Scheidungen die ausdrückliche Zustimmung des Generalsekretärs des "All India Muslim Personal Law Board", Maulana Syed Nizamuddin. Voraussetzung für eine glaubwürdige Diskussion über die Reform des islamischen Personenstandsrechts bleiben jedoch Institutionen, in denen die Interessen der indischen Muslime nachweislich vertreten werden. Ohne sie kann sich keine Politik auf ihre Zustimmung berufen oder als demokratisch legitimiert betrachten. Nadja-Christina Schneider © Qantara.de 2007 Dr. Nadja-Christina Schneider ist als Lehrbeauftragte am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität in Berlin tätig. Ferner arbeitet sie ehrenamtlich als Redakteurin für das Online-Portal Südasien-Informationsnetz e.V. (www.suedasien.net).
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