Deutungshoheit über religiöse Autorität
Dagegen wird genau dieses Postulat bei der Besetzung der Beiratsmitglieder vom Wissenschaftsrat aufgestellt. Doch die Theologie kann letztlich nur von den Anhängern der jeweiligen Religionsgemeinschaft und von etablierten und anerkannten Theologen bestimmt werden. Weder der Staat noch Personen des öffentlichen Lebens ohne theologische Kompetenzen, geschweige denn religiösen Bekenntnissen, können und dürfen hier mitreden. Die Kompetenz-, Autoritäts- sowie die Legitimationsfrage gehen Hand in Hand.
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt geurteilt, dass das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften für die Religionsfreiheit größeres Gewicht hat als die so genannte Wissenschaftsfreiheit. Sollte dieser Beschluss etwa für Muslime nicht gelten?
Brückenfunktion der Verbände
Die bisherigen Erfahrungen zeigen leider, dass dieses Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf Muslime nicht konsequent umgesetzt wird. Nur hier und da machen die muslimischen Verbände die Erfahrung, dass sie in ihrer Brückenfunktion als Repräsentanten der muslimischen Basis konsultiert werden.
Diese positiven Erfahrungen machen wir als Schura Niedersachsen seit Jahren in enger Kooperation mit der Universität Osnabrück. In den letzten zehn Jahren verlief diese Kooperation sehr fruchtbar und produktiv. Nicht nur mit dem Schulversuch Islamischer Religionsunterricht, der auf immer mehr Schulen ausgeweitet wurde, sondern nun auch mit der Konzeption des "Universitären Weiterbildungsprogramms für Imame und für das religiöse Betreuungspersonal" an der Universität Osnabrück, die in diesem Monat startet.
Der nächste Schritt wird die Etablierung eines Instituts für Islamische Theologie mit einem dazugehörigen Beirat darstellen. Aufgrund des angewachsenen Vertrauensverhältnisses und des vorgelegten Konzepts unterstützen alle Moscheegemeinden der Schuras in Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein sowie Mecklenburg-Vorpommern diesen Prozess ausdrücklich.
In den Schuras sind Sunniten wie Schiiten organisiert, ebenso sind die Schuras multi-ethnisch aufgestellt. Muslime mit Wurzeln in der Türkei, Marokko, Albanien, Bosnien, Iran und Deutschland arbeiten Hand in Hand als Muslime und Bürger Deutschlands zusammen.
Religiöse Autorität künftiger Imame
Allerdings wird es für uns muslimische Gemeinden von entscheidender Bedeutung sein, dass die oben genannte Reichweite der Gemeinden sich entsprechend in der Personenzahl im Beirat widerspiegelt. Dies muss auch an anderen Standorten in den Beiratsmodellen berücksichtigt werden. Dieses Postulat ist keine Bevorzugung der muslimischen Verbände, sondern lediglich das Recht wie bei allen anderen Religionsgemeinschaften auch, in religiösen Angelegenheiten mitzusprechen und mitzuentscheiden.
Gelingt es nicht, die muslimischen Verbände angemessen zu beteiligen, so rate ich dem Wissenschaftsrat seine Empfehlungen folgendermaßen zu modifizieren: die Etablierung von Lehrstühlen im Bereich der Islamwissenschaften, die man durch "liberale und progressive" Muslime ohne die Moscheegemeinden und Verbände besetzt.
Hierbei stellt sich jedoch die Frage, ob die muslimische Gemeinschaft diesen Prozess mit trägt, die Absolventen dieses Studienganges als religiöse Autorität anerkennt und ob diese Absolventen je die Möglichkeit haben werden, etwa als Imame in Moscheegemeinden tätig zu werden? Die Antwort liegt auf der Hand.
Avni Altiner
© Qantara.de 2010
Avni Altiner ist Vorsitzender der Schura Niedersachsen, in der Muslime aller Rechtsschulen und Nationalitäten vertreten sind.
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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