"Der Westen muss aktiv für die Demokratie werben"



Ibrahim:
2004 habe ich Mubarak herausgefordert, indem ich erklärte, dass ich mich als Kandidat bei der Präsidentschaftswahl aufstellen lassen würde und dass er die Verfassung ändern und mir die Kandidatur erlauben solle, wenn er von sich überzeugt sei. Bis dahin ließ die Verfassung keine weiteren Kandidaten zu. Unter öffentlichem Druck gab Mubarak nach und stimmte der Verfassungsänderung 2005 zu, ein Jahr, nachdem ich meine Kampagne gestartet hatte. Doch er stellte sicher, dass ich trotzdem nicht würde kandidieren können. Der Präsidentschaftskandidat musste Mitglied einer rechtmäßig anerkannten Partei sein und es gab keine. Außerdem durfte er ausschließlich die ägyptische Staatsbürgerschaft haben, während ich inzwischen eine doppelte Staatsbürgerschaft habe.In einem Artikel über die Rolle der Amerikaner zur Entwicklung der Lage in den arabischen Ländern haben Sie Obama dafür kritisiert, dass er sich zu wenig für die Demokratisierung einsetzt. Glauben Sie immer noch, dass Obama falsch handelt?
Ibrahim: Als Obama an die Macht kam, sagte man ihm, der arabisch-israelische Konflikt sei das Hauptproblem im Nahen Osten und dass er als erstes diesen Konflikt lösen müsse, um in der Region etwas erreichen zu können, auch in Bezug auf den Iran und Afghanistan. Das war zum Teil korrekt, aber Obama vernachlässigte das Werben für Demokratie. Er hat nicht verstanden, dass Demokratie und Frieden die zwei Seiten einer Medaille sind und dass er sich für beides zugleich einsetzen muss.
Was würden Sie der EU und den europäischen Regierungen raten, um den Demokratisierungsprozess in der Region zu fördern?
Ibrahim: Sie sollten das tun, was Obama vernachlässigt hat: für die Demokratie werben. Sie sollten bereit sein, jedem Land zu helfen, das den Weg der Demokratie beschreiten will und Assoziierungsabkommen mit oder die Mitgliedschaft in der EU als Lohn in Aussicht stellen.
Haben die Golfstaaten Einfluss auf die Entwicklung im Maghreb und Maschrek?
Ibrahim: Kuwait ist ein gutes Vorbild. Es ist seit der Unabhängigkeit vor über 50 Jahren eine Demokratie, mit nur einer Unterbrechung während des Ersten Golfkrieges. Nach Kuwait folgt Bahrain. Die dortige Demokratie ist nicht so alt wie die Kuwaits, aber sie ist sehr stabil.
Welche Rolle spielt Saudi-Arabien?
Ibrahim: Saudi-Arabien wird eines der letzten Länder sein, die sich demokratisieren. 2005 haben Sie einmal in einer Art Experiment Kommunalwahlen abgehalten. Die Entwicklung war sehr dynamisch, aber seitdem hat sich der Prozess offenbar wieder verlangsamt. Saudi-Arabien hat alles, was eine lebensfähige Demokratie braucht, aber das Königshaus und das religiöse Establishment halten nach wie vor an der Überzeugung fest, Demokratie sei ein westliches Produkt, das ihre Macht gefährdet.
Nach Meinung einiger arabischer Gelehrter ändern sich die politischen Parameter in der Türkei: Früher haben die Kemalisten darauf geachtet, die Religion zu kontrollieren, aber heute wird das Land von einer islamisch-demokratischen Partei regiert.
Ibrahim: Da haben Sie Recht. Das ist ein gutes Beispiel für eine islamische Partei, die an die Demokratie glaubt und die Menschenrechte achtet. Ich sehe hier eine Analogie zu den christlich-demokratischen Parteien in Europa. Diese Parteien handeln innerhalb eines christlich definierten Referenzrahmens, aber sie glauben an Demokratie und beteiligen sich am politischen Spiel. Von diesem Modell kann man etwas lernen.
Interview: Giancarlo Bosetti
© ResetDoc 2011
Übersetzung aus dem Englischen von Sabine Kleefisch
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Qantara.de
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