Pakistans vorhersehbare Tragödie



Wie konnten wir nicht vorhersehen, dass dies alles passieren würde? Dabei ist doch die Geschichte der letzten 30 bis 35 Jahre in meiner Weltregion sowie die Art und Weise, wie sie durch Al-Qaida mit dem Westen verbunden ist, so vorhersehbar. Niemand hätte das erfinden können. Schauen Sie sich an, wie damals, in den 1980er Jahren, während des "CIA-Dschihads" gegen die Sowjetunion, der Koran ausgerechnet in Berlin ins Usbekische übersetzt wurde – mit Hilfe eines CIA-Experten. Dann wurde der Text, wiederum von der CIA, nach Pakistan gesandt, von wo aus er, auf dem Rücken von Mauleseln, nach Usbekistan geschmuggelt wurde.
Stellen Sie sich dieses Bild doch nur einmal vor! Die CIA ging tatsächlich zu den Usbeken und sagte: "Ihr seid doch Muslime, kämpft gegen die Ungläubigen, hier ist euer Heiliges Buch, in dem steht, dass Ihr dazu verpflichtet seid."
30 Jahre später werfen die USA nun Bomben in einer Stammesregion Pakistans namens Waziristan ab, wo die meisten Al-Qaida-Terroristen Usbeken sind. Noch einmal: Was glauben Sie, wird danach passieren? Für einen Romanschriftsteller ist es schon fast peinlich, eine solch vorhersehbare Geschichte schreiben zu müssen.
Der Roman ist ein Panorama all jener Kräfte, die am Schicksal Afghanistans beteiligt sind: die Russen, der Westen (insbesondere die USA), die iranischen Mullahs, die Warlords, die Taliban.
Aslam: Die Reaktionen auf mein Buch überraschen mich noch immer. Letztes Jahr hielt ich eine Lesung in New York. Jemand stand dort auf und rief "Wie können Sie es wagen! Sie sind anti-amerikanisch und sind für die Gewalt des Dschihad!" Nur eine Woche später war ich in Pakistan auf einer Lesung und jemand stand auf und beschimpfte mich "Wie können Sie es wagen! Sie sind pro-amerikanisch und gegen den Islam!" In der darauf folgenden Woche war ich in Indien. Und in Neu-Delhi gab es eine Gruppe kommunistischer Studenten, die aufstanden und sagten "Wie können Sie es wagen, solche Dinge über den Kommunismus zu sagen!" Alles, was ich im Roman schrieb – darin kommt ein Kommunist, ein Amerikaner, ein engstirniger Muslim und ein moderater Muslim vor – wiederholte sich auf anderer Ebene in der Realität.
Dabei wollte ich doch, dass die Menschen sich über all diese Kategorisierungen hinausbewegen. Mein ganzes Leben habe ich diese Dinge abgelehnt, die Idee des Nationalismus, eigentlich auch die Idee jedweder Ideologie. Ich bin fest davon überzeugt, dass uns ein großes Grauen erwartet, wenn wir diese Dinge nicht im Auge behalten und ernst nehmen.
Zwei Symbole, die das Buch strukturieren, scheinen dies widerzuspiegeln – das eine ist ein Buddhakopf, versteckt im Fundament einer zerstörten Parfümfabrik und in der Nähe vom Haus des Erzählers, Marcus, gelegen. Das andere ist das Haus selbst: Das Haus der fünf Sinne, in dem die Geschichte spielt.
Aslam: Im März 2001, just an dem Tag, als die Buddhas von Bamiyan in die Luft gesprengt wurden, kommen die Taliban ins Haus. Sie sehen den Buddha und wollen ihn zerstören, zur gleichen Zeit, wie auch die Buddhas im Bamiyan-Tal. So beginnen sie, Sprengstoff um ihn herum zu stapeln, als er plötzlich anfängt, flüssiges Gold zu bluten, die Taliban rennen schließlich davon. Dies war mein Kommentar zu den Geschehnissen im Bamiyan-Tal: Dieser Buddha hier überlebt, in der Vorstellung dieses Autors, dieser Person. Damit verurteile ich die Radikalen.
Afghanistan war vor dem Islam ein buddhistisches Land. Auf diese Weise versuche ich, an Afghanistans Vergangenheit zu erinnern. Wenn man als menschliches Wesen die Vergangenheit vergisst, stimmt psychologisch etwas nicht. Und wenn eine Nation ihre Vergangenheit vergisst, oder versucht, diese zu vergessen oder gar auszuradieren, dann wird sie früher oder später unter einem Trauma leiden.
Interview: Claudia Kramatschek
© Qantara.de 2010
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Qantara.de
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