Fata Morgana in der Wüste?




Ist El Para nicht verhaftet und verurteilt worden?
Keenan: Ja, er wurde nach der Lösegeldzahlung Monate später angeblich auf der Flucht von tschadischen Rebellen der Bewegung für Demokratie und Gerechtigkeit (MDJT) aufgegriffen, an libysche Behörden überstellt und von denen wiederum an Algerien geliefert. Im Juni 2005 verurteilt ein Gericht in Algier El Para zu lebenslanger Haft. Allerdings "in absentia", obwohl er seit acht Monaten in Haft sitzen müsste. Im Mai 2007 gab es noch einmal eine Verhandlung, aber die fand erneut ohne den Angeklagten statt. Dabei wurde das Urteil von 2005 aus fadenscheinigen Gründen aufgehoben und das Verfahren vertagt.
Seitdem ist El Para spurlos verschwunden?
Keenan: Nicht ganz. Der Name taucht 2008 bei der nächsten Entführung auf. Die Kidnapper von zwei Österreichern fordern die Freilassung von El Para.
Der sich offensichtlich gar nicht in Haft befand. Was steckte tatsächlich hinter dieser Forderung?
Keenan: Kurz vor dieser zweiten Entführung hatte die Schweiz Akteneinsicht in den Fall der Geiselnahme von 2003 beantragt, da unter den Gefangenen zwei Schweizer gewesen waren. Man beabsichtigte El Para auch zu vernehmen. Ein Wunsch, dem die Algerier nicht nachkommen konnten.
In der Not zog man die Entführerkarte?
Keenan: Ja, da hat jemand wohl Abu Zaid angerufen und ihm gesagt, er soll sich einige Touristen greifen. Was er dann ganz offensichtlich im Süden von Tunesien getan hat.
Und Algerien konnte damit sein diplomatisches Problem lösen?
Keenan: Die Schweizer mussten einsehen, dass El Para in dieser Krisensituation, in der das Leben der beiden gefangenen Europäer von ihm abhing, nicht ausgeliefert werden konnte. Erst einmal musste das Ende der Entführung abgewartet werden. Aber die dauerte noch Monate und damit verstrich die fünfjährige Frist, innerhalb der die Schweiz ihr Auslieferungsverfahren beantragen konnte.
Welchen Nutzen gab es für die algerische Regierung bei der Entführung 2003 unter der Leitung von El Para und all den anderen Kidnappings?
Keenan: Sehen Sie, nach dem blutigen Bürgerkrieg in Algerien, bei dem 200.000 Menschen umkamen, hatte das Land keine internationale Reputation mehr, war ein Paria-Staat und die Armee verfügte nur noch über veraltete Waffen. Die Bedrohung durch Al-Qaida in der Sahara machte Algerien zum Partner der US-Regierung unter Präsident George W. Bush im Kampf gegen den Terror. Das Weiße Haus hebt das Waffenembargo auf, liefert modernes Equipment und Algerien avanciert über die Jahre zum angesehenen Terrorbekämpfer Nummer eins in der Region.
Und die USA?
Keenan: Die benutzten die Entführung der 32 Touristen von El Para als Rechtfertigung für neue Militärbasen in der Sahara.
Die USA wussten, dass El Para ein Agent des algerischen Geheimdienstes war?
Keenan: Sehen Sie, im August, September 2002 präsentiert das Defense Science Board der US-Regierung dem damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein neues Programm, um Terrorismus zu bekämpfen. Terrorgruppen sollen unterwandert, zu Aktionen provoziert werden.
Sie meinen die Initiative Präventive Operation, kurz P20G.
Keenan: Ja, und das erste Pilotprojekt dieses neuen Programms ist El Para.
Ein Pilotprojekt, das nur mithilfe von Algerien durchgeführt werden konnte.
Keenan: Beide Seiten hatten ein Interesse, Terrorismus zu fabrizieren.
Und heute?
Keenan: Einige der neuen Entführungen sind Unfälle, wie die von Michel Germaneau. Er wurde von zwei Gangstern gefangen und dann an Al-Qaida weiterverkauft. Das Ganze hat sich verselbstständigt und ist nicht immer unter der Kontrolle des algerischen DRS.
Interview: Alfred Hackensberger
© Qantara.de 2010
Jeremy Keenan ist Professor für Anthropologie an der School of Oriental and African Studies der Universität London. Zuletzt erschien von ihm "The Dark Sahara. America's War on Terror in Africa" (Pluto Press 2009).
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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