"Der Dialog der Kulturen ist meine Lebensaufgabe"




Weil Sie als Berater des Königs der einzige Marokkaner jüdischen Glaubens sind, der Zugang zum inneren Machtzirkel in Marokko hat, gelten Sie als Ausnahmeerscheinung in der arabischen und islamischen Welt. Kann Ihre Stellung eine bestimmte Signalwirkung an die Muslime haben?
Azoulay: Zunächst danke ich meinem Land, meinem König und meiner Konfession für dieses Privileg und für die Verantwortung, die damit einhergeht. Dass ich dieses Privileg genießen kann, belegt die Modernität und Menschlichkeit des heutigen Marokkos. Wie Sie vollkommen zu Recht angemerkt haben, bin ich tatsächlich das einzige Mitglied meiner Gruppe, welches Teil dieses auserwählten Kreises wurde. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Welt vor nicht viel mehr als 60 Jahren noch unter der Barbarei des Nationalsozialismus litt. Zu dieser Zeit war in unserer Nachbarschaft Marokko das einzige Land, das eine Botschaft der Achtung, der Menschenwürde und der Solidarität entsandte.
Ich habe die Geschichte keineswegs vergessen, sie ist mir sehr wohl noch präsent. Als vor 500 Jahren die Muslime und Juden unter der Inquisition in Spanien litten, standen sie Seite an Seite im Widerstand gegen diese Gräuel zusammen. Das zeigt doch, dass das Judentum und der Islam durchaus dazu fähig sind, eine fruchtbare Zusammenarbeit zu gestalten.
Sie sind der Präsident der Anna Lindh Stiftung für den Dialog zwischen den Kulturen im euro-mediterranen Raum. Welche konkreten Anstrengungen unternimmt Ihre Stiftung, um als Vermittler zwischen den Kulturen erfolgreich tätig werden zu können?
Azoulay: Zunächst möchte ich gerne darauf hinweisen, dass ich als Kandidat der Arabischen Liga zum Präsidenten der Anna Lindh Stiftung gewählt wurde. Es war das erste Mal in der Geschichte der Arabischen Liga, dass sie einen arabischen Juden ausgewählt hat, um sie bei einer internationalen Institution zu vertreten. Dieser Wahl wohnte eine ähnliche Symbolik inne wie meine Berufung zum Berater meines Königs. Jeder arabische Staat ist frei, in ähnlicher Weise zu handeln.
Die Anna Lindh Stiftung macht es sich zur Aufgabe, gemeinsame Projekte und Kooperationsprogramme im Rahmen der euro-mediterranen Partnerschaft mit zivilgesellschaftlichen Akteuren in den Ländern der Europäischen Union und der Mittelmeeranrainerstaaten zu gestalten. Das Ziel dieser Kooperation ist, diese Partnerschaft von der Abhängigkeit staatlicher Strukturen zu lösen, damit die gemeinsamen Projekte in unseren Ländern mehr Legitimität erlangen können.
Unser langfristiges Ziel besteht darin, das Bewusstsein aller 750 Millionen Menschen im Mittelmeerraum für die Notwendigkeit einer gemeinsamen Herangehensweise an die Herausforderungen der Zukunft zu schärfen. Wir müssen raus aus den ministerialen Büros, und mehr auf die zivilgesellschaftlichen Akteure setzen. Dabei ist der Kulturdialog essentiell, denn er spielt eine zentrale Rolle bei der Korrektur von Stereotypen und Wahrnehmungsdefiziten. Das ist unsere eigentliche Aufgabe. Ohne Einbeziehung der Kultur ist eine echte Zusammenarbeit nicht möglich.
Auf die Initiative Frankreichs und Ägyptens hin wurde vor zwei Jahren die Union für das Mittelmeer ins Leben gerufen. Welche Ziele konnte dieses ambitionierte Projekt in der Zeit nach seiner Gründung bisher erreichen?
Azoulay: Die Gründung der Union für das Mittelmeer war zweifelsohne ein historischer Schritt. Es ist nicht möglich, dieses Projekt nach so kurzer Zeit schon endgültig zu beurteilen, selbst nach zehn Jahren wird uns das nicht gelingen. Eine Errungenschaft dieses Projektes ist es doch schon, wenn man heute auf beiden Seiten des Mittelmeeres von einer gemeinsamen "Union" sprechen kann. Das war vorher nicht möglich.
Die Union für das Mittelmeer bleibt aber ein auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angelegtes Projekt. Für mich ist es besonders wichtig, dass dieses Projekt den Geist gemeinsamer Zusammenarbeit atmet; es ist eine gemeinsame Vision, der wir mehr Zeit geben sollten, damit sie ihre edlen Ziele überhaupt erreichen kann. Ich für meine Person bringe diese Geduld auf, denn ich bin felsenfest vom Erfolg dieses Projektes überzeugt. Nur weil bisher noch keine sichtbaren Erfolge vorzuweisen sind, sollten wir die allgemeine Ausrichtung der "Roadmap" der Union nicht gleich in Frage stellen.
Interview: Rim Najmi
© Qantara.de 2010
André Azoulay ist Berater des marokkanischen Königs. Er gründete 1973 in Paris die Bewegung "Identität und Dialog", eine Gruppe, in der sich Mitglieder der jüdischen Elite für einen unabhängigen palästinensischen Staat an der Seite Israels aussprachen. Seit 2008 steht er der Anna Lindh Stiftung vor.
Übersetzung aus dem Arabischen: Christian Horbach und Loay Mudhoon
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
Qantara.de
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