Imagewandel durch Vielfalt
Der Experte des Europarates Phil Wood war derart begeistert, dass er lobte: "Neukölln ist der Blick in die Zukunft vieler Städte in Europa und der ganzen Welt, die von Migration geprägt sein werden. Die Interkulturalität, die hier bereits Normalität ist, wird in einigen Jahren die Realität vieler Städte sein."
So wurde Neukölln 2008 für das europäische Projekt "Intercultural Cities" ausgewählt, um als deutscher Partner in einem Netzwerk von elf Städten mit hohem Migrantenanteil gemeinsame Strategien eines positiven Umgangs mit Interkulturalität zu entwickeln.
Konnte Neukölln von dem Städtenetzwerk profitieren? "Obwohl die Probleme ähnlich erscheinen, stellt sich die Ausgangssituation in den verschiedenen Städten des Netzwerks sehr unterschiedlich dar", berichtet Melanie Kraft, Verantwortliche beim Bezirksamt Neukölln als stellvertretende Europabeauftragte.
Das erweitere zwar den Horizont, aber es sei schwierig, Projekte aus anderen Städten zu adaptieren. Das Ziel der Initiative, eine interkulturelle Strategie zu entwickeln, sei zwar erreicht worden, allerdings fehle es an Mitteln zur Umsetzung von Projekten. Diese nüchterne Bilanz erklärt, warum der Abschluss des Projektes in der Öffentlichkeit wenig Aufmerksamkeit fand.
Alltag am Hermannplatz
Hermannplatz, 600 Meter von der ehemaligen Rütlischule entfernt. Junge Leute sitzen vor einem Bistro und löffeln vietnamesischen Zitronengrascurry mit Erdnusssoße. In der Hasenheide nebenan haben die ersten türkischen Großfamilien ihre Picknickkörbe ausgepackt, die Kinder sind zum naheliegenden Tiergehege gelaufen, wo sie kostenlos auf Ponys reiten können. In der Sonnenallee sitzen ältere Herrschaften vor arabischen Cafés in etwas heruntergekommenen Altbauten und verströmen den süßlichen Duft ihrer Wasserpfeifen.
Junge Leute mit Dreadlocks, vereinzelte gut gekleidete Mittdreißiger und kopftuchtragende Mütter ziehen durch die belebten Einkaufsstraßen. Bunt, eigenwillig und charmant, wie sich das "Ghetto Neukölln" an einem gewöhnlichen Wochentag zeigt, gibt es den Europa-Delegierten recht: Die Statistiken und Negativschlagzeilen allein werden dieser Gegend nicht gerecht.
Die neuen Reize
Kein Wunder also, dass sich immer mehr Studenten und Künstler hier in "Kreuzkölln" niederlassen, wie der Bezirk wegen seiner Nähe zum längst etablierten Kreuzberg genannt wird. Kneipen und Cafés sprießen hier genauso aus dem Boden wie Kulturvereine und Ateliers. Neukölln ist im Trend.
Laut dem Sozialwissenschaftler und Experten für Stadtteilentwicklung Andrej Holm wird dieser Imagewandel auch an Formulierungen in Wohnungsannoncen deutlich: "Noch vor wenigen Jahren wurde es verschleiert, wenn sich eine Wohnung in Neukölln befand. 'In Kreuzbergnähe' hieß es da zum Beispiel. Heute werben die gleichen Wohnungsunternehmen offensiv damit, wenn sich eine Wohnung im nördlichen Neukölln befindet".
Linke Gruppen sehen bereits eine Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung durch ein zahlungskräftigeres Publikum herannahen. Gründe für das plötzliche Interesse der Studenten und Künstler an der Region sieht Holm einerseits in den ansteigenden Mieten der angesagten Berliner Bezirke Friedrichshain, Kreuzberg und Mitte und andererseits in einer gezielten politischen Imagearbeit.
Welche Rolle die "Intercultural Citys"-Kampagne dabei gespielt hat, kann keiner einschätzen. Der besondere Charme, den die interkulturelle Vielfalt Neuköllns ausmacht, hat aber bestimmt zum Imagewandel des Problembezirks beigetragen.
Janna Degener
© Goethe-Institut 2010
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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