Verinnerlichte Fatwa

Auch im zwanzigsten Jahr nach der berüchtigten Fatwa Ayatollah Khomeinis gegen den britisch-indischen Romancier Salman Rushdie ist der Nachhall der Affäre in Großbritannien deutlich zu vernehmen. 1989 reagierten britische Muslime mit Wut auf die Veröffentlichung der "Satanischen Verse" - es kam zu Demonstrationen, Bücherverbrennungen und Angriffen auf Buchhandlungen, die Rushdies Roman führten.
Es war das erste Mal, dass britische Muslime in einer solchen Weise öffentlich protestierten. Auch markierte die Rushdie-Affäre den Beginn einer zunehmenden Radikalisierung von Mitgliedern der muslimischen Gemeinde. Zwei Jahrzehnte nach der Khomeini-Fatwa vom Februar 1989 steht die Radikalisierung eines Teils der gut 1,6 Millionen Muslime in Großbritannien erneut auf der politischen Agenda. Dies gilt insbesondere nach den Londoner Selbstmordattentaten vom 7. Juli 2005, bei denen 52 Menschen getötet wurden. Das Entsetzen über die Bombenanschläge wurde noch dadurch verstärkt, als bekannt wurde, dass drei der fünf Attentäter in Großbritannien geboren und aufgewachsen waren.
Der verhalten boshafte Stil
Der britische Autor Hanif Kureishi, geboren 1954 in London und Sohn einer englischen Mutter und eines Pakistaners mit indischen Wurzeln, entschied sich, auf den zwanzigsten Jahrestag der Fatwa damit zu begehen, indem er seinen 1995 erschienenen Roman "Das Schwarze Album" als Bühnenstück adaptierte. Bis zum 7. Oktober lief das Stück im Cottesloe Theatre in London und ist dann im Rahmen einer fünfwöchigen Tour in ganz England zu sehen. Das Stück ist eine Gemeinschaftsproduktion der multikulturellen Avantgarde-Theatergruppe Tara Arts und dem National Theatre. Regisseur ist der künstlerische Leiter und Mitbegründer von Tara Arts, Jatinder Verma. Als Kureishi im letzten Jahr Verma vorschlug, den Versuch einer Theaterfassung seines Buchs "Das Schwarze Album" zu wagen, war Verma von Kureishis Ansatz und seinem "leicht boshaften" Stil begeistert. "Dies ist genau die Art, mit der man sich diesem Thema annähern muss", meint Verma.
"Den Gefahren eines aufkommenden Fundamentalismus in unserer Gesellschaft lässt sich nur mit diesem verhalten boshaften Blick begegnen." Kureishi weist darauf hin, dass "Das Schwarze Album" zu einer Zeit epochaler Veränderungen spielt. Schließlich wurde 1989 nicht nur Khomeinis Fatwa verkündet, auch der Fall der Berliner Mauer und der Zusammenbruch des Kommunismus fiel in diese Dekade. Die Amtszeit der Premierministerin Margaret Thatcher ging ins zehnte Jahr und es war eine Hochzeit des Konsum-Kapitalismus. Auch in der Popmusik war es eine Zeit wichtiger Erneuerungen, wie etwa des Aufkommens der Techno-Kultur und der immer größeren Verbreitung der Droge Ecstasy. All dies bildet den Hintergrund des Romans.
Chronist des multikulturellen Großbritanniens
Seit einem Vierteljahrhundert hat Kureishi ein eindrucksvolles und wegweisendes Werk geschaffen, dass ihn zum Chronisten des multikulturellen Großbritannien machte. 2008 wurde er zum Commander of the Order of the British Empire (CBE) ernannt.

Er wird gespielt vom schmächtigen Jonathan Bonnici, der ihn mit einer anziehenden Aura eifriger Unschuld darstellt. Shahid besitzt einen Computer, den sein verstorbener Vater ihm vermacht hatte und strebt danach, Autor zu werden. Schon bald wird er in den Kreis des muslimischen Aktivisten Riaz Alexander Andreou) gezogen, der aus Lahore stammt, sowie dessen Gefolgsleuten Chad, Hat und Tahira. Abgesehen von seinen neuen muslimischen Freunden fühlt sich Shahid jedoch auch von seiner Dozentin Deedee Osgood (Tanya Franks) angezogen, die einige Jahre älter ist als er. Recht freizügig gekleidet nimmt sie ihn mit zu Techno-Parties und führt in ein in die Welt von Drogen, Alkohol und Sex. Sie überzeugt ihn, sich der Popkultur als ernstzunehmender Wissenschaft anzunehmen und überredet ihn dazu, über den Musiker Prince zu schreiben.
Gefangen zwischen zwei Weltsichten
Nach einer langen Clubnacht und starkem Drogenkonsum mit Deedee wird Shahid von starken Krämpfen geplagt und es ist Riaz, der ihm zu Hilfe kommt. Shahid meint, dass Riaz ihm damit das Leben gerettet habe. Seine Verbundenheit zu ihm wird dadurch gestärkt. Riaz bittet ihn, dessen Gedichtsammlung "The Martyr's Imagination" (Die Vorstellungskraft des Märtyrers) auf seinem Computer abzutippen.

Desillusionierte Linke und islamistische Ideologen
Die Allianz zwischen einigen linken und bestimmten islamistischen Gruppen ist in den letzten Jahren zu einem kontroversen Thema innerhalb der politischen Szene Großbritanniens geworden. Kureishi zeichnet dieses Verhältnis mittels Deedees Ehemann, dem marxistischen und Pferdeschwanz tragenden Dozenten Brownlow (Sean Gallagher). Brownlow nahm der Zusammenbruch des Kommunismus derart mit, dass er zu stottern begann. Den Islamismus seiner Studenten greift er begeistert auf, unterstützt und rechtfertigt ihn. Mit Foucault nennt er die iranische Revolution einen "reinen Triumph der iranischen Arbeiterklasse".
Gallagher verkörpert zudem George Rudder, den opportunistischen Labour-Politiker im Stadtrat, der nicht davor zurückschreckt, die Anliegen der muslimischen Wähler für seine eigenen politischen Ziele zu benutzen. Im Verlauf der sich ausweitenden Kampagne behauptet Riaz, den Buchstaben Alef in einem Stück Aubergine entdeckt zu haben. Als Zeichen und Wunder will er das verstehen und stellt eine Verbindung zum "Schriftsteller" und dem Iran her. Brownlow und Rudder folgen ihm opportunistisch, in der Hoffnung, ihn für ihre eigenen Ziele einzuspannen zu können.
Shahid seinerseits erzürnt Riaz und seine Anhänger nicht nur, weil er ihre Absichten ablehnt, den "Schriftsteller" zum Schweigen zu bringen, sondern auch aufgrund der Änderungen, die er den Gedichten in Riaz' Lyriksammlung "Die Vorstellungskraft des Märtyrers" beibrachte. Den Höhepunkt des Stücks bildet die Szene, in der sich die Gruppe um Riaz gegen Shahid wendet und ihn bis zu Deedees Haus verfolgt. Im Roman wird Hat tödlich verletzt, als ihm eine Benzinbombe, mit der er eine Buchhandlung in die Luft sprengen wollte, um die Ohren fliegt. Im Stück findet sich so auch ein Echo der Bombenanschläge vom 7. Juli 2005, bei denen die Bomben in Rucksäcken getragen wurden, denn auch Hat hebt einen Rucksack auf. Das Stück endet mit einem Knall.
Schwierige Frage von Zensur und Terror

"Das Schwarze Album" ist von hohem Tempo, komisch und unterhaltsam; ständig kommen und gehen Charaktere durch die Türen des Bühnenbildes. Zuweilen wirkt dies etwas chaotisch und manchmal verliert die Handlung dadurch auch an Fahrt. Ganze Passagen des Dialogs sind wörtlich aus dem Roman übernommen. Einige Kritiker fanden, dass dem Stück die "Panorama-Sicht" auf London fehlt, mit ihrer Vielzahl an Ereignissen und Charakteren. Gegenüber dem Time-Magazine gab Kureishi zu, dass die Rezensionen ein bisschen "gemein" gewesen wären, aber so sei nun mal das Leben als Schriftsteller. "Man muss eben Risiken eingehen, und auch mal seltsame Dinge tun."
Doch im allgemeinen schien das Stück beim Publikum gut angekommen zu sein, wofür auch die ausverkauften Vorstellungen sprechen. "Die Reaktionen des Publikums haben das widergespiegelt haben, was wir uns vor der Produktionen davon versprochen hatten", erklärte Verma in einem Gespräch mit Qantara.de. "Die Zuschauer haben sich gern von uns in Hanif Kureishis geistreiche Adaption entführen lassen und hatten Spaß daran, wie hier die schwierigen Themen Zensur und Terror behandelt wurden."
Verlorene Siege
Er fügte auch hinzu: "Nach rund zwanzig Vorstellungen, die es inzwischen gegeben hat, habe ich auch den Eindruck gewonnen, dass das Publikum es durchaus goutierte, einmal eine Gruppe asiatischer Charaktere und Lebensstile auf der Bühne zu erleben, die dort ansonsten nur selten zu sehen sind. Es sind Charaktere von urbaner Lebendigkeit - genauso liebenswert und leidenschaftlich wie jeder andere moderne Brite auch." Zeitgleich hierzu hielt die Debatte um die Rushdie-Affäre in Großbritannien weiter an.
In der renommierten, wöchentlich ausgestrahlten BBC-Kultursendung Newsnight Review folgte auf die Rezension von "Das Schwarze Album" eine erregte Studiodiskussion. Einer der Teilnehmer war der Schriftsteller, Dozent und Rundfunksprecher Kenan Malik, Autor des kürzlich erschienenen Buches "From Fatwa to Jihad: The Rushdie Affair and its Legacy". Malik argumentierte, dass die Kritiker Rushdies die "Schlacht verloren hätten", indem es ihnen nicht gelungen sei, die "Satanischen Verse" verbieten zu lassen und das Buch noch immer verlegt werde.
Andererseits aber "haben sie den Krieg gewonnen, da ihr Hauptanliegen, dass es moralisch verwerflich sei, andere Kulturen und Glauben zu beleidigen, in unserer Gesellschaft sehr viel verbreiteter ist als früher und unser Denken weit mehr bestimmt. In diesem Sinn lässt sich durchaus behaupten, dass die Fatwa von uns verinnerlicht wurde."
Susannah Tarbush
© Qantara.de 2009
Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol Susannah Tarbush lebt in London und schreibt als freie Journalistin über islamspezifische Themen u.a. für die Tageszeitung "Al-Hayat", die "Saudi Gazette" und das Magazin "Banipal".