Wie der Antichrist zum Mahdi wurde
Zu dieser religiösen Komponente gesellte sich die politische. Das Osmanische Reich galt als Verkörperung des Despotischen und damit als Gegenpol zur freiheitlichen Ordnung der Vereinigten Staaten. Durch die Endzeitstimmung, die der antiklerikaler werdende Charakter des nachrevolutionären Frankreichs unter den christlich-konservativen Amerikanern ausgelöst hatte, erfuhr die Sicht auf die Türkei jedoch bald eine erneute Sakralisierung: Die Prophezeiung in der Offenbarung des Johannes, dass vor Beginn der Endschlacht der Euphrat austrocknet, wurde als Hinweis auf den Untergang des Türkischen Reichs gedeutet.
Reale Zeichen für dessen allmähliche Auflösung stärkten im neunzehnten Jahrhundert zwar die Befürworter einer Missionierung der Muslime, doch hatten erste Versuche kaum Erfolge erzielt. Vielmehr bestätigten die wenigen Begegnungen die Vorurteile gegenüber dem Islam.
Populäre, wenn auch erfundene Geschichten von Konvertiten
Das Scheitern der Missionare, das man auf die angebliche Rückständigkeit, Grausamkeit und Frauenfeindlichkeit der Muslime schob, ließ in Amerika indessen Lebensgeschichten der wenigen christlichen Konvertiten umso populärer werden; dass diese stets aufs Neue aufgelegten Werke zum Teil erfunden waren, tat der Beliebtheit dieses bis heute weitverbreiteten Genres keinen Abbruch.
Auch wenn der Missionar Samuel Zwemer (1867 bis 1952) dank seiner Produktivität als Orient-Schriftsteller die Einsicht durchzusetzen vermochte, dass landes- und religionskundliche Kenntnisse die Voraussetzung für eine Evangelisierung der Muslime seien, fruchtete dies kaum. Dennoch bildet das Argument, extrem anti-islamische Endzeitprophetien würden der eigenen Mission schaden, eine Konstante in innerevangelikalen Debatten seit der Zwischenkriegszeit.
Hier scheint das einflussreichste Lager das pro-israelische zu sein, das sich mit seinen prophetisch-spekulativen Reaktionen auf die oft kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten dank auflagenstarker Bestseller Gehör verschafft. Ein beliebtes Motiv ist die Zerstörung der Moscheen auf dem Jerusalemer Tempelberg und der Wiederaufbau des jüdischen Tempels.
Endzeitschlacht und die Wiedererrichtung Babylons
Ebenso die islamisch-russische Koalition, die auf Seiten des Antichristen kämpft. War in der Zeit des Kalten Krieges die Sowjetunion die Verbündete der ölreichen Araber, so kamen nach der Islamischen Revolution die Iraner hinzu, aus Sowjets wurden Russen.
Allerdings traten die Iraner vorübergehend wieder in den Hintergrund, um in der Endzeitschlacht, von Saddam Husseins neubabylonischem Kult und dem ersten Golfkrieg inspiriert, Platz für das wiedererrichtete Babylon zu machen, das nun zum Sitz des Antichrist erklärt wurde - und der durfte in der millionenfach verkauften Endzeit-Buchserie "Left Behind" ("Finale - Die letzten Tage der Erde") auch ein Rumäne sein, mit dem sagenhaften Namen Nicholas Carpathia.
Nach den Anschlägen des 11. September hat die anti-islamische Stimmung noch zugenommen. Wieder werden Berichte konvertierter Muslime instrumentalisiert, wenngleich manche auch Hinweise enthalten, wie man den "muslimischen Nachbarn" für das Christentum gewinnen könnte.
In der erhitzten Atmosphäre des Anti-Terror-Kriegs versuchte Kidd zufolge die Regierung Bush beim Thema Islam sogar mäßigend auf die Evangelikalen einzuwirken. Deren Endzeitautoren aber haben sich angepasst. Nun wird auch der Irak-Krieg als Zeichen für den bevorstehenden Vernichtungsschlag gegen den Islam gedeutet. Und der Antichrist ist neuerdings Muslim durch und durch: Er erscheint in Gestalt des islamischen Mahdi, ausgerüstet mit russisch-iranischer Atomwaffentechnik.
Joseph Croitoru
© Qantara.de 2010
Thomas S. Kidd: "American Christians and Islam. Evangelical Culture and Muslims from the Colonial Period to the Age of Terrorism". Princeton University Press, Princeton 2009.
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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