Realer als das Leben



Die TV-Serie zeigt ein Panorama der Realität arabischer Gesellschaften, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Mohannad hatte vor der Heirat mit Noor vorehelichen Sex, aus dem ein Kind stammt; eine Cousine ließ ein Kind abtreiben und zum Abendessen wird auch Alkohol getrunken. "Wir alle machen Dinge in unserem Leben, wie sie in der Serie gezeigt werden", sagte die syrische Schauspielerin Laura Abu Sa’ad, die der weiblichen Hauptfigur "Noor" ihre arabische Stimme gab.
"Viele Mädchen zum Beispiel, werden schwanger und haben Abtreibungen, aber man spricht nicht darüber. Wenn man nun im TV sieht, was sonst unter den Tisch gekehrt wird, bedeutet das ein Aufatmen." Für Laura Abu Sa’ad ist der Erfolg der Serie ein Zeichen dafür, "dass die arabischen Muslime einem moderaten Islam und nicht den Extremisten folgen wollen".
Ideal für den Tourismus
Religion spielt in der Serie eine untergeordnete Rolle. Die Ehe von Noor und Mohannad ist zwar vom Großvater bestimmt und man befolgt das muslimische Fastengebot im Monat Ramadan, aber keine der Hauptfiguren wird beim täglichen Gebet gezeigt. Frauen tragen auch kein religiöses Kopftuch.
"Ich denke diese Serie zeigt ein völlig unrealistisches Bild der Türkei", kritisiert Professor Khalid Amine von der marokkanischen Universität in Tetouan. "Als würde es dort keine islamistische Partei an der Regierung und keine Auseinandersetzung zwischen Religion und Säkularismus geben." Die Produktion liefere eine Idealisierung, die nur gut für den Tourismus sei.
"Meine Familie aus Belgien", so der Uniprofessor weiter, "fährt dieses Jahr in den Sommerferien nicht nach Hause nach Marokko, sondern in die Türkei". Die Kinder wollten die Schauplätze von "Die verlorenen Jahre", einer anderen populären türkischen Serie für Jugendliche sehen, die Eltern das Land von Noor und Mohannad. In Istanbul hat die türkische Produktionsfirma von "Noor" die Villa, das fiktionale Zuhause von Mohannad, in ein Museum für arabische Touristen verwandelt. Alleine aus Saudi-Arabien werden 100.000 Besucher erwartet, 70.000 mehr als im Vorjahr.
Ein Lückenbüßer wird zum Erfolg
Der Kultstatus der Serie kam für den panarabischen Satellitenkanal MBC völlig überraschend. In der Türkei war die Serie "Noor", die 2005 startete, kein kommerzieller Erfolg gewesen. Laut MBC-Präsidenten, Sheik Walid al-Ibrahim, habe man im Ausland nach billigen Produkten gesucht, da arabische TV-Serien unverschämt teuer seien.
Der türkische Lückenbüßer, den man nicht mit klassischem Arabisch, sondern mit dem gesprochenen Dialekt der Region vertonte, wurde zum großen Geschäft des Senders mit Hauptsitz in Dubai. Weitere türkische Serien sollen folgen.
Alfred Hackensberger
© Qantara.de 2008
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