Ein literarischer Magnet in Ostanatolien



"Lange hat es gedauert, bis sich die Türkei von der restriktiven Politik nach dem Militärputsch 1980 erholt hat. Es gibt jetzt einen großen Hunger danach, sich frei nach Wegen, nach Möglichkeiten umzuschauen. Vielleicht sind gerade deshalb besonders viele politische und religiös gefärbte Bücher gefragt, weil der Zugang zu ihnen lange verstellt war", meint ein Buchkäufer.
Der Andrang vor dem Signiertisch des Autors Iskender Pala, Professor für türkische Sprache und klassische Literatur sowie Verfasser islamisch-mystischer Liebesgeschichten, scheint dieser Theorie Recht zu geben:
Verleiht der Autor doch den Gefühlswelten einer jungen, religiös-konservativen Generation Ausdruck, die erstmals selbstbewusst einen Weg zwischen gelebter Religion und Teilnahme am modernen Leben einfordert. Es sind es vor allem junge Mädchen mit Kopftuch, die geduldig auf ein paar Worte mit dem Autor und ein Autogramm warten.
Kurdisches Heimspiel
Weitere bemerkenswerte Aussteller in Diyarbakir sind die kurdischen Verlagshäuser wie "Avesta", "Lis", "Nubihar" oder "Belki". Für sie stellt die Messe gewissermaßen ein Heimspiel dar: Können sich die kleinen kurdischen Verlage einen Stand auf den großen Messen in Istanbul häufig nicht leisten, spielen sie im überwiegend kurdisch besiedelten Osten, wenn auch nicht die Rolle des Gastgebers, so doch die des Publikumslieblings.
"Die Leute kaufen hier neben Lehrbüchern der kurdischen Sprache vor allem Klassiker, wie Gedichte von Melaye Ciziri oder Epen von Ehmede Xani. Obwohl diese Bücher beinahe 500 Jahre alt sind, sind sie für die meisten Kurden neu: Sie beginnen gerade erst, sich mit ihrer eigenen Literatur vertraut zu machen", so ein Mitarbeiter des religiös-orientierten Hauses "Nubihar".
Nebenan verkauft das "Kurdische Institut Diyarbakir", umringt von einem amüsierten Publikum, T-Shirts mit kurdischen Wortspielen und versucht auf seine Weise, zum Popularitätsgrad des Kurdischen beizutragen. Verlagshäuser wie "Avesta, "Belki" und "Lis" bieten eine ganze Reihe Bücher junger Kurdisch schreibender Autoren an.
Sich hier gemeinsam mit den Großen der Verlagsszene zu präsentiern und auf der Basis von Übersetzungslizenzen (aus dem Türkischen ins Kurdische und umgekehrt) zarte Geschäftsbeziehungen zu knüpfen, ist für die kurdischen Verlage ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität. Als Vorbild mag das türkische Verlagshaus "Ithaki" gelten, das viele Werke des kurdischen Grandseigneurs Mehmed Uzun ins Türkische übersetzt hat.
Als Zeichen des Normalisierungsprozesses ist auch zu werten, dass auf der Messe türkischsprachige Verlage erstmals versuchen, um die kurdischsprachige Kundschaft zu werben: Die Firma "idefix.com" etwa präsentiert das erste kurdische E-Book und der türkische Verlag "Dogan" wirbt fürs Lesen mit kurdischen Lettern: "Xwendin paseroj e" – Lesen ist Zukunft.
Am frühen Abend sieht man dann noch Diyarbakirs umtriebigen Bürgermeister Osman Baydemir, der viel dafür getan hat, dass die Messe dieses Jahr zustande kommen konnte: Bei "Aras" nimmt er einen Prachtband über armenische Silberschmiedekunst entgegen, am Stand der Stadtverwaltung verschenkt er kurdischsprachige Kinderbücher.
Während die Kameras auf den Bürgermeister gerichtet sind, eilen im Hintergrund studentische Messehostessen durch die Reihen, das ein oder andere Buch wandert in die Tasche eines bibliophilen Taschendiebs. "Business as usual" - wohl auch in Diyarbakir.
Sonja Galler
© Qantara.de 2010
Readktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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