"Verliebt in die mythischen Ritter"



Zunächst vollzieht Aïchi, trotz ihrer starken traditionellen Prägung, wie viele ihrer Generation im modernen Algerien, den Bruch mit der herkömmlichen Biographie einer Berber-Frau.
In den 1970er Jahren ging sie zunächst nach Paris, um Psychologie zu studieren.
Doch sie blieb ihren Wurzeln auch mit der neuen Perspektive von außen treu, begann über die Gesänge des Aurès zu recherchieren, im "Musée des Hommes" etwa, wo sie Wachszylinder-Aufnahmen entdeckte, aber auch in der alten Heimat, wo sie immer wieder die Frauen besuchte und ihre Lieder aufnahm. Auch Ausflüge in andere algerische Regionen unternahm sie, um die "dhikr", die Sufi-Gesänge zu dokumentieren.
Diskurs zwischen zwei Musikwelten
Für ihr neues Projekt ist sie nun zu den edlen Rittern zurückgekehrt, hebt die höfische Poesie mit ihren Themen von Ritter, Dame und Pferd auf ein modernes Niveau. Die Vision verwirklicht sie zusammen mit dem Straßburger Quintett "L'Hijâz 'Car":
"Seit langem schon hatte ich Lust, die Tradition des Aurès mit zeitgenössischen Klängen zu konfrontieren. Während meiner Karriere habe ich öfters mit Jazz-Musikern gearbeitet und ich wusste, dass es funktionieren würde. Ich hatte das Glück, dass Gregroy Dargent, der Leiter des Ensembles sich in meine Gefühlswelt und meine Erinnerungen hineindenken konnte. Und so hat er es geschafft, Arrangements zu finden, die die Tradition nicht verraten. Es ist wirklich ein Diskurs zwischen zwei Musikwelten."
Moderne Spielart der Berber-Kultur
Stolz galoppierend und liebeslyrisch zugleich gibt sich diese Musik, der ein kühner Bogen von der vor-arabischen Zeit bis in die Weltmusik-Avantgarde gelingt.
Die nasale, kraftgeladene Stimme Aïchis vereint sich mit kreisenden Männerchören und hauchender Flöten-Trance, Rahmentrommeln setzen die Beats, dazwischen winden sich Improvisationen auf Oud und Banjo, unterschwellige Bassklarinetten setzen Impulse.
Dass Traditionspflege nicht das Bewahren der Asche sondern das Weitertragen des Feuers bedeutet, bewahrheitet sich hier eindrücklich: Mit Aïchis Projekt wird das Erbe der Aurès-Reiter in eine neue, mit kraftvollen Bildern aufgeladene Sprache übertragen – und die Berberkultur durch eine moderne Spielart fernab von Ethno-Pop erweitert.
Stefan Franzen
© Qantara.de 2009
Qantara.de
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