"Die Umweltkrise ist auch eine spirituelle Krise"




europäischen Aufklärung und haben an ihre Stelle eine anthropozentrische Ordnung gesetzt, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und ihm mangels Bindung an eine höhere Ordnung freie Bahn gibt für die Ausbeutung der Natur.
Nasr zufolge ist der Mensch ein grenzenlos egoistisches und gieriges, aber gleichzeitig nach Transzendenz strebendes Wesen, das ohne kosmologische Verankerung aber keine wirkliche Befriedigung findet und daher in stetig gesteigertem Konsum und in perfektionierter Technik ein Ventil sucht. Die Umweltkrise ist für ihn eine spirituelle Krise. Diese Diagnose betrifft auch den Islam und die Muslime, die wieder zu ihrem ursprünglichen Weg zurückfinden müssten.
Nasr setzt, in der Sufi-Tradition, vor allem am einzelnen Menschen an, der die kosmologischen Gesetze erkennen und sich in sie einfügen müsse. Die Orientierung am Spirituellen würde dann die Orientierung am Konsum ersetzen. Das ist gleichzeitig sehr konservativ, aber auch sehr aktuell, wenn man an die allgegenwärtigen Forderungen in Richtung Konsumverzicht und Änderung des Lebensstils denkt.
In der öffentlichen Diskussion zum Umweltschutz sind bisher die Muslime nicht allzu sehr aufgefallen. Woran liegt das?
Nökel: In öffentlichen Diskussionen wie auch in Organisationen sind Muslime generell kaum vertreten, höchstens sehr vereinzelt als 'Migranten'. Die religiöse Haltung wird als Privatsache verstanden, über die man sich nicht öffentlich äußert, um sich nicht zu kompromittieren. Das ist sozusagen ein Tabu-Thema.
Den meisten Muslimen ist der Zusammenhang zwischen Religion und Umweltschutz nicht bewusst, obwohl sie ihn unbestimmt sehen und wahrnehmen. Die Stiftung Interkultur führt gerade eine kleine Untersuchung dazu durch. Dabei ist bisher zu Tage getreten, dass Muslime, die die Religion ernst nehmen, die Ansicht äußern, die Religion gebiete "Respekt gegenüber der Natur", was sie dann in ihrem Alltag z.B. dazu veranlasst, Grünzonen zu schützen und andere dazu anzuhalten, sparsam mit Wasser oder Nahrungsmitteln umzugehen oder sich Gedanken über ihren Konsum zu machen.
Es gibt indessen keine umfassenden empirischen Studien über das Umweltbewusstsein von Muslimen. Man hat sie bisher nicht als relevante Gruppe in diesem Kontext wahrgenommen bzw. sie als unerreichbar für diesen Themenkomplex eingestuft.
Was könnte der Beitrag der Muslime zu diesem heute sehr intensiv diskutierten Thema "Umweltschutz" sein?
Nökel: Wie es scheint, müssen Muslime sich erst noch über den Zusammenhang von Religion und Umwelt klar werden. Für viele sind das zwei völlig verschiedene Zusammenhänge, die sie bislang nicht zusammengeführt haben. Möglicherweise kann eine Idee wie der "Öko-Islam" Impulse setzen, sich mit dem Umweltthema zu identifizieren, sich und seinen Lebensstil wie seine Alltagsgewohnheiten im Hinblick darauf zu reflektieren.
Was Nasr nahe legt, ist, dass der Islam sich nicht in der Befolgung von Riten erschöpft, sondern eine persönliche Verantwortung für die Welt, jenseits konfessioneller Grenzen, fordert. Jeder hat in dieser Hinsicht an sich selbst zu arbeiten. Umwelt- und Klimaschutz wird, jenseits aller Moden, zu einer Angelegenheit von spirituellem Rang. Über Moscheegemeinden und islamische Gruppen würde man eine große Gruppe von Menschen erreichen, die sich sonst nicht angesprochen fühlen. Umweltdiskurse könnten hier verankert werden. Vernetzungen mit anderen Umweltgruppen und -organisationen wären möglich. Die Umweltbewegung wäre damit einen Schritt weiter.
Gibt es in Europa "öko-islamische" Projekte oder Initiativen?
Nökel: Eine der bekanntesten Organisationen ist die britische Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences, kurz IFEES. Sie ist eine bei der UNO registrierte NGO und eine Schwesterorganisation der international tätigen Alliance of Religions and Conservation (ARC), mit der sie zusammen Küstenschutzmaßnahmen im afrikanischen Raum entwickelt hat.
Darüber - sowie über ihre Initiativen in Großbritannien - hat sie ein medienwirksames Bild eines Öko-Islams entworfen. Ihr professionell anmutender Newsletter EcoIslam zeigt eine eindrucksvolle Synthese von islamischen Diskursen und Umweltdiskursen. Gekonnt werden Informationen auch über globale Zusammenhänge und praktische Maßnahmen für den Alltag vermittelt. IFEES ist mit anderen lokalen britischen Organisationen, die in den letzten Jahren entstanden sind, vernetzt. Gemessen daran stellt sich Deutschland bislang als ein Entwicklungsland dar.
Interview: Eren Güvercin
© Qantara.de 2009
Dr. Sigrid Nökel ist Soziologin. Sie promovierte an der Universität Bielefeld über "Die Töchter der Gastarbeiter und der Islam" und forschte am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) sowie an der Universität Bremen zum "Euro-Islam". Für die Stiftung Interkultur verfasste sie eine Untersuchung zum Thema Islam, Umweltschutz und nachhaltiges Handeln, die 2009 in der Reihe "Stiftung Interkultur – Skripte zu Migration und Nachhaltigkeit" erschienen ist (Link zur PDF s.u.).
Qantara.de
Islam und Entwicklungszusammenarbeit
Umweltschutz mit dem Koran?
Staatliche und nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisationen müssen definieren, auf welcher gemeinsamen Wertegrundlage sie mit muslimischen Partnern zusammenarbeiten wollen. Aber wie wichtig ist der Bezug auf den Islam für das Gelingen von Entwicklungshilfeprojekten tatsächlich? Ein Beitrag von Martina Sabra.
www
Website Hossein Nasr Foundation
Studie "Islam, Umweltschutz und nachhaltiges Handeln" (PDF-Format)