Parallelen zwischen Islamismus und Nationalsozialismus


Sansal: Nein, in Auschwitz war ich schon vorher gewesen. Meine erste Frau war Tschechin. Wir waren damals oft in Prag und irgendwann habe ich gesagt, lass uns für ein Wochenende nach Polen fahren. Die Erfahrung an diesem Ort hat mich tief geprägt. Auschwitz zu besuchen ist eine kolossale persönliche Prüfung und ich empfehle jedem, nicht zu tief zu schürfen. Es kann einen sehr aus der Bahn werfen, denn alle Überzeugungen und Werte, die man als Mensch haben kann, werden erschüttert. Der Glaube an Gott, an die Menschlichkeit, an alles. Nichts bleibt wie es ist.
In Algerien kann man Ihr Buch bislang nicht kaufen. Viele Algerierinnen und Algerier, die das Buch trotzdem gelesen haben und auch das algerischstämmige Publikum in Frankreich haben Sie kritisiert, weil Sie Parallelen zwischen dem Nationalsozialismus und dem Islamismus ziehen. Ist das nicht tatsächlich übertrieben? Der Islamismus sieht doch nicht per se die Ausrottung bzw. Unterwerfung anderer Völker vor? Und nicht alle Islamisten wollen mit Gewalt die Scharia einführen bzw. Frauen unter den Schleier zwingen?
Sansal: Irrtum! Ich habe die Entwicklung des Islamismus seit seiner Entstehung bis heute verfolgt und die Diskurse analysiert. Es gibt meiner Meinung nach enorme Ähnlichkeiten, in vieler Hinsicht. Es gibt die Idee der Eroberung – die Eroberung der Seelen –, aber auch der Territorien. Und es gibt die Idee der Ausrottung, der Ausrottung all derer, die sich der Ideologie des Islamismus nicht unterwerfen. Insofern sehe ich durchaus Parallelen, und ich denke, man muss sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen, wenn man dem Islamismus Einhalt gebieten will.
Bisher gibt es noch keine Pläne, Ihr Buch ins Arabische zu übersetzen. Dafür ist die Übersetzung ins Hebräische fast fertig. Würden Sie nach Israel reisen, um das Buch dort vorzustellen?
Sansal: Man hatte mich bereits nach Israel eingeladen - von der Zeitung Haaretz und von dem dortigen Verleger, und ich hatte auch schon zugesagt. Im Moment würde ich allerdings nicht reisen. Die neue Regierung unter Netanjahu und Liebermann steht für mich weit rechts - auf der Kippe zum Faschismus.
Martina Sabra
© Qantara.de 2009
Boualem Sansal, geboren 1948 in Teniet el Had in Algerien, ist studierter Ingenieur und Ökonom und war bis zu seiner Entlassung im Frühjahr 2003 Direktor des algerischen Industrieministeriums. Für sein Debüt "Le Serment des Barbares" erhielt er in Frankreich 1999 den "Prix du Premier Roman". Für den Roman "Das verrückte Kind aus dem hohlen Baum" wurde er mit dem begehrten "Michel-Dard"-Literaturpreis ausgezeichnet.
Boualem Sansal: "Das Dorf des Deutschen oder das Tagebuch der Brüder Schiller", Merlin Verlag, Gifkendorf 2009, 278 Seiten
Qantara.de
Boualem Sansal: "Postlagernd: Algier"
Bittere Wahrheiten für ein "blindes Volk"
Mit "Postlagernd: Algier" hat Boualem Sansal in seiner Heimat einen intellektuellen Mehrfrontenkrieg eröffnet: Der algerische Autor teilt in alle Richtungen aus und kritisiert sowohl die herrschende Klasse als auch die Islamisten. Beat Stauffer hat die Schmähschrift gelesen.
Porträt Albert Memmi
Nüchterner Blick auf die Freiheit
Mit seinem "Porträt des Kolonisierten" legte der tunesisch-französische Soziologe und Schriftsteller Albert Memmi Mitte der 1950er Jahre ein zentrales Werk des Dekolonialismus vor. Diesem ließ er kürzlich ein "Porträt des Dekolonisierten" folgen. Darin zieht er eine ausgesprochen nüchterne Bilanz. Kersten Knipp hat den Sohn jüdisch-arabischer Eltern in Paris besucht.
Arabische Perspektiven auf den Holocaust
Die Politisierung des Genozids
In jüngster Zeit hat der iranische Präsident mehrfach öffentlich Zweifel am Ausmaß des Holocaust geäußert, die teilweise auch in der arabischen Welt Echo fanden. Seriöse arabische Intellektuelle distanzieren sich allerdings von den revisionistischen Thesen. Von Fakhri Saleh