Mogadischu zwischen Pest und Cholera




Wieder einmal ist eine neue Regierung über die Somalis hereingebrochen. Niemand hatte die Wahl. Hätten sie eine gehabt, wäre es vermutlich die zwischen Pest und Cholera gewesen.
Verantwortlich dafür ist in erster Linie das Versagen der europäischen Diplomatie. Zögerlich, vor allem auf Druck der ehemaligen Kolonialmacht Italien, hatten die Europäer sich der "Kontaktgruppe für Somalia" angeschlossen, die seit der Machtübernahme der Islamisten gemeinsam mit den USA und anderen eine Vermittlungslösung finden sollte – das ideale Forum zur Stärkung der moderaten Kräfte.
Doch die wenigen Friedensgespräche, die in Sudans Hauptstadt Khartum stattfanden, wurden unter dem Dach der Arabischen Liga geführt – und blieben erfolglos. Zeitgleich setzten die USA ungehindert immer offensichtlicher auf eine militärische Lösung.
Während US-Truppen im Osten Äthiopiens den Krieg vorbereiteten, spielte die für Afrika zuständige Vize-Außenministerin Jendayi Frazer die Scharfmacherin. Zum Schluss verurteilte sie die Union islamischer Gerichtshöfe gesammelt als Terrorzelle, die von al-Kaida gesteuert würde.
Im UN-Sicherheitsrat setzen die USA gegen den Willen, aber ohne jeglichen Widerstand aller anderen Mitglieder eine Resolution durch, die noch mal mehr zur Eskalation der Lage führte.
Aus Europa hörte man zu all dem nichts. Als der für Entwicklungshilfe zuständige EU-Kommissar Louis Michel, der seine Rolle als Vermittler bereits Anfang des Jahres im Kongo verspielt hatte, am Mittwoch vor Weihnachten "zur Vermittlung" nach Baidoa und Mogadischu flog, lief die Kriegsmaschinerie bereits auf Hochtouren, ohne dass die Europäer auch nur eine Ahnung davon hatten. Der Besuch Michels in Somalia wurde so zum peinlichen Beleg dafür, wie außen vor die EU in Sachen Somalia bis zum Schluss wirklich war.
Doch der äthiopische Blitzkrieg in Somalia hat auch eine gute Seite. Er hat gezeigt, wie eine professionelle und gut ausgerüstete Armee binnen Tagen eine mit Kalaschnikows und klapprigen Geschützwagen operierende Milizentruppe ausschalten kann. Die Tatsache, dass der Angriff gegen internationales Recht verstößt, spielte dabei keine Rolle.
Die gleiche Operation könnte die Millionen von ihrem Leid befreien, die seit vier Jahren im westsudanesischen Dafur brutalste Überfälle, Massenvergewaltigungen, Brandschatzungen und ähnliches ertragen müssen, selbst in vermeintlich sicheren Flüchtlingslagern.
Das alles sind Vergehen eines Ausmaßes, in dem sich auch der schlimmste somalische Islamist nicht im Geringsten schuldig gemacht hat. Doch Darfur muss weiter leiden. Europa schweigt auch hier.
Marc Engelhardt
© Qantara.de 2006
Qantara.de
Islamisten in Somalia
Kriegsangst am Horn von Afrika
Nach 15 Jahren Anarchie in Somalia haben Islamisten die Kontrolle über weite Teile des Landes am Horn von Afrika übernommen. Doch der Vormarsch der "Union islamischer Gerichtshöfe" und der Machtzuwachs von Extremisten droht die ganze Region in den Krieg zu ziehen. Von Marc Engelhardt
Interview Nuruddin Farah:
"Ich lebe nicht im Exil, ich lebe in Afrika"
In Nuruddin Farahs neuestem Roman "Links" kehrt der Protagonist nach zwanzigjährigem Exil in seine Heimat Somalia zurück. Er findet ein Land vor, das im Chaos zu versinken droht, zerrissen von einem Bürgerkrieg. Ilja Braun traf Farah im November 2005 in Frankfurt und sprach mit ihm über sein neues Buch.
Reformislamische Bewegungen im subsaharischen Afrika
Religiöse Neuerung und gesellschaftlicher Wandel
Afrikas jüngere islamische Reformbewegungen befinden sich nicht zuletzt wegen ihres Engagements im Sozial- und Bildungswesen heute im Aufwind. Jedoch haben sie vielerorts einen politischen Charakter angenommen und kultivieren verstärkt einen Diskurs gegen Verwestlichung, Korruption und moralischen Verfall. Von Roman Loimeier