Jenseits von Vorurteilen, Ideologien, Befangenheiten


In dieser Hinsicht kann man beruhigt sein: politische Diskurse, die Deutschen, die Türken, und ihr Verhältnis zueinander – es ist alles drin, und noch viel mehr. Man merkt es nur nicht immer.
Wie Yeter mitten in Hamburg von islamistischen Finsterlingen bedroht wird, weil sie sich "ehrlos" verhält, wie blauäugig Lotte sich als Menschenrechtsaktivistin aufführt, wie Nejat als Literaturprofessor ein erfolgreiches, "integriertes", aber auch unerfülltes Leben führt ..., an solchen und anderen Szenen lassen sich umfangreiche Diskussionen festmachen.
Ähnliche Themen hat das deutsche Migrantenkino jahrzehntelang öfter bemüht – und dabei häufig thesenhaft, hölzern und mit moralisierend-didaktischem Zeigefinger herübergebracht. Es konnte auch nicht anders sein, die Zeiten waren nicht danach.
Atmosphärisches Kino, plastische Erzählweise
Fatih Akin zeigt nun, wie es geht: Er passt seine Themen so geschickt in einen erzählerischen Bogen, dass Spannung, Interesse und Neugier des Zuschauers nie nachlassen. Dazwischen schafft er atemberaubend atmosphärische Kino-Bilder, dann plötzlich gibt es wieder einen Schock, eine neue Wendung – und bei alldem werden seine Figuren so plastisch, dass einen das Gefühl beschleicht, tatsächlich dem realen Leben beizuwohnen.
Das Leben ist aber mehr als diese oder jene Idee. Eine ließe sich vielleicht herausgreifen: Der naiven Lotte, der aktivistischen Ayten, dem schöngeistigen Nejat stehen mit Ali und Susanne Vertreter einer älteren Generation gegenüber, die vieles, was die Jüngeren in diesem mobilen, kriegerischen Zeitalter umtreibt, früher schon ganz ähnlich erlebt haben: Militärputsch, Terrorgefahr, Vietnamkrieg, Ölkrise, Migration sind nur einige Schlagworte.
Dass die Rollen der Älteren mit Fassbinder-Ikone Hanna Schygulla und Yilmaz-Güney-Star Tuncel Kurtiz besetzt sind, gewissermaßen zwei Galeonsfiguren des linken Autorenkinos, ist ein Glücksgriff. Überdies liegt der Filmstart in einer Zeit, in der Deutschland gerade seine blutige linke Geschichte aufarbeitet, in der die Türkei massiv ihre alten politischen Strukturen hinterfragt. Ein Zufall?
Plädoyer für Zwischentöne
Wo andererseits zwischen Ost und West ein neues Blockdenken in alten Schwarz-Weiss-Kategorien droht, plädiert Akin für Nuancen und Zwischentöne.
Beispiel Ayten: Die Hetzjagd der Polizei auf sie mag ein realistisches Bild vom türkischen Umgang mit Minderheiten zeichnen, ihre Abschiebung prangert möglicherweise die bürokratisierte deutsche Asylpolitik an. Doch ihre kaderartig organisierten Polit-Kumpane, die bereit sind, über Leichen zu gehen, wenn es der Sache dient, erscheinen keinen Deut sympathischer. Dass Aytens Aufgabe anderswo liegen könnte, deutet bereits der Filmtitel an:
Auf die andere Seite gelangen – jenseits von Vorurteilen, Ideologien, Befangenheiten – das gilt gegenüber Freunden, Fremden, Ländern und Kulturen. Dass er sich am Rande des Todes positioniert, macht diesen Film zu keinem düsteren, verleiht dem Leben umso mehr Tiefe und fordert die Überlebenden zu entschiedener Sinngebung auf.
Die Figuren, die übrig bleiben, haben mehr über sich selbst und über die anderen erfahren. Dass das lange im Zuschauer nachhallt, macht "Auf der anderen Seite" zu einem ganz außergewöhnlichen Film.
Amin Farzanefar
© Qantara.de 2007
Qantara.de
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