Ein schiitischer "Krisenbogen" in Nahost



So konnte die Hisbollah ihre Kämpfer weiter mobilisieren und aufbauen. Nach dem israelischen Abzug im Jahr 2000 blieb der Streit wegen der Shebaa-Farmen an der Grenze ein Vorwand für die Hisbollah, den Kampf gegen Israel fortzusetzen.
Auch von der sozialen und innenpolitischen Lage konnte die Hisbollah profitieren und ihre Rivalen von der Amal weitgehend ausschalten. Die Partei baute ein karitatives Netz auf, das auf die selbstlose, ehrenamtliche Arbeit vieler ziviler Mitarbeiter setzte. Außerdem übte sie in den schiitischen Landesteilen und Stadtquartieren, die über Moscheen und Husseiniyas als lokale Zentren verfügten, eine diskrete, aber tief greifende soziale Kontrolle aus.
Der verhältnismäßig erfolgreiche Widerstand der Hisbollah-Kämpfer gegen die israelische Armee im Libanon hat die Partei heute im Zedernstaat sogar unter Nicht-Schiiten sehr populär gemacht.
Die mobilisierende Kraft der Gewalt im Irak
Auch im Irak waren es Krieg und Gewalt, welche die radikalen, revolutionären und pro-iranischen Tendenzen förderten. Die Da'wa-Partei wurde nach der endgültigen Machtergreifung Saddam Husseins 1978 massiv verfolgt, ihr Gründer - Ayatollah Baqr as-Sadr - 1980 ermordet. Die Partei konnte jedoch ihre Untergrundzellen bis zum Sturz Saddam Husseins im Verlauf des Irakkrieges aufrechterhalten.
Andere schiitische Gruppen wurden aus dem Irak in den Iran vertrieben oder suchten dort Zuflucht. Ein Sprössling der ebenfalls von Saddam Hussein verfolgten Familie al-Hakim, Ayatollah Muhammad Baqr al-Hakim, fasste sie schließlich 1982 unter dem Namen SCIRI ("Supreme Committee of the Iranian Revolution in Iraq") zusammen und bildete eine Miliz ("al-Badr"), die im Iran-Irakkrieg auf iranischer Seite kämpfte.
Nach dem Sturz Saddam Husseins kehrte al-Hakim in den Irak zurück, wurde jedoch am 29. August 2003 in Nadschaf ermordet. Die Partei und die Miliz, nun unter der Führung Hodschatolislam Abdul Aziz al-Hakims, die noch immer stark von der iranischen Führung abhängig sind, bilden neben der Da'wa-Partei einen der Hauptakteure der schiitischen Koalition. Den Badr-Milizen wird vorgeworfen, sie hätten das Innenministerium infiltriert und bildeten dort schiitische Todesschwadrone, die regelmäßig gegen die Sunniten vorgingen.
Eine neue islamische Revolution?
So ist es dem Iran gelungen, sich als Schutzherr wichtiger politischer Kräfte in der arabischen Welt zu etablieren. Kann die Führung in Teheran auf diesem Weg zur Vormacht im nahöstlichen Raum aufsteigen? Die Zerstörungen der politischen und sozialen Strukturen im Irak und im Libanon durch amerikanische bzw. israelische Militärschläge fördern mit Gewissheit eine solche Entwicklung.
Manche Beobachter sprechen schon heute von einem "schiitischen Krisenbogen", der die arabische Welt bedrohe. Wenn US-Amerikaner und Israelis an dieser Politik in der arabischen Welt festhalten und dabei auch noch – wie angedroht – Syrien und Iran in den Konflikt miteinbeziehen, könnte ein solcher Krisenbogen tatsächlich zu einer sich selbst erfüllenden Voraussage werden.
Arnold Hottinger
© Qantara.de 2006
Arnold Hottinger war langjähriger Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" im Nahen Osten und hat zahlreiche Bücher über den Islam und die arabische Welt publiziert.
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