"Lösch die YouTube-Videos!"



Schon bald nachdem Al-Balad die Berichterstattung zu den Parlamentssitzungen entzogen worden war, reichte der Verantwortliche in der Medienaufsichtsbehörde ein Ermittlungsverfahren gegen den Sender ein. Der Tatbestand: "Beleidigung" des Parlaments.
Darüber hinaus stellte sich heraus, dass dieses Vorgehen der Parlamentarier sogar vom Strafrecht des Landes gedeckt war, dessen Artikel 191 vorsieht, dass jede Beleidigung des ganzen Parlaments oder eines einzelnen Abgeordneten mit einer Gefängnisstrafe zwischen drei Monaten und zwei Jahren geahndet werden kann.
Selbstzensur unvermeidbar?
Der Kolumnist und Blogger Batir Wardam hat darauf hingewiesen, dass das jordanische Parlament bereits mehrfach den Versuch unterbunden hatte, eine Klausel im Presserecht des Landes abzuschaffen, die die Inhaftierung von Journalisten für alles, was er schreibt oder sendet, vorsieht.
Erst der persönlichen Initiative König Abdullahs II. ist es zu verdanken, dass der Zusatz schließlich doch verabschiedet werden konnte. Noch bemerkenswerter aber ist vielleicht der "Hinweis an sich selbst", den Wardam an den Beginn seiner Kolumne gestellt hat und in dem er sich daran erinnert, nur „sehr vorsichtig auf das Thema Redefreiheit einzugehen“.
Die politische Freiheit in Jordanien war noch nie grenzenlos, doch liegt die Absurdität dieses Vorgangs darin, dass ein gewähltes Parlament (und damit eben keine anmaßende Exekutive oder ein Geheimdienst) dabei ist, hart erkämpfte Reformen zurückzudrehen. Wie es ein jordanischer Blogger ausdrückt: "In Jordanien sind die schlimmstmöglichen Szenarien inzwischen die wahrscheinlichsten geworden."
Angst vor Konsequenzen
Diese Kontroverse – und besonders der Kommentar dieses Bloggers – veranlassten mich, noch einmal über die von mir in das Internet gestellten Videoclips nachzudenken. Die großzügigen und liebevollen Jordanier, die ich getroffen und gefilmt habe, nahmen einfach am politischen Leben ihres Landes teil und kritisierten dabei ihre Repräsentanten; sie handelten damit auf natürliche Weise, als einfache Bürger.
Doch was, wenn ich diese Menschen in Gefahr brächte, nur weil ich damit sagte: "Sobald die Abgeordneten gewählt sind, vergessen sie jeden und alles, was sie zuvor versprochen haben." Meine Filme waren sicher nicht beleidigender als der Kommentar bei Al-Balad, doch nach dem, was mit dem Sender passiert war, machte ich mir wirklich Sorgen über die Konsequenzen, die es haben konnte, wenn man Jordanier zeigt, die sich wie normale Bürger verhielten.
Das ließ mir keine Ruhe. Einerseits dachte ich, dass die Meinung dieser Menschen es verdient, gehört zu werden. Auf der anderen Seite wollte ich unter keinen Umständen ihre Sicherheit gefährden. Da ich mich zwischen diesen Möglichkeiten einfach nicht entscheiden konnte, machte ich, was wohl jeder 22-Jährige in dieser Situation gemacht hätte: Ich fragte die Besucher meines Facebook-Profils um Rat.
"Lösch die Filme!"
Die Antworten zeigten ein fast einmütiges Bild: Ich sollte die Filme löschen. Einige schrieben auch, dass ich ja nicht nur die Menschen in den Filmen, sondern auch mich selbst in Gefahr brächte. Ich wartete auf einen Kommentar, der mich dazu drängte, noch mehr diese Clips in das Internet zu stellen, um die Aufmerksamkeit für das Thema politische Freiheit zu erhöhen. Doch ich wartete vergeblich.
Radio Al-Balad entschuldigte sich für den Vorfall und versprach, sich neu zu organisieren. Einige Tage später löschte ich die YouTube-Videos. Leider kann diese Geschichte über die Demokratie in Jordanien kein "Happy End" haben. Zumindest noch nicht.
Deena Dajani
© Deena Dajani / openDemocracy / Qantara.de 2008
Übertragen aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Die Nutzungsrechte des Artikels unterliegen einer Creative Commons Licence.
Qantara.de
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