Laizismus als Vorwand



Mit Hilfe der National Endowment for Democracy, den Instituten der US-Demokraten und US-Republikaner und unter Einbeziehung der Fonds der Europäischen Union sowie der deutschen politischen Stiftungen entscheidet angeblich dieser Apparat, was in der Türkei diskutiert wird.
"Juden" und "Kryptojuden", das "Griechisch-Türkische Forum" und die Vertretung der EU in Ankara sind irgendwie zwischengeschaltet. An diesen Fäden zappeln private Universitäten und freiheitliche Medien, türkische Stiftungen und Initiativgruppen, aber auch religiöse Kreise, vor allen Dingen solche des interreligiösen Dialogs.
Das Dokument wurde im März 2006 fertig gestellt und in jenen Tagen dem stellvertretenden Generalstabschef zur Absegnung zugeleitet.
"Die Vorlage wurde erstellt", heißt es in dem 70 Seiten starken Papier, "um über die Tätigkeit von NGOs zu informieren, welche die USA und die EU ihren eigenen Zielen gemäß ausrichten und um Gegenmaßnahmen absegnen zu lasen." Zu den Gegenmaßnahmen zählen die Gründung militärtreuer NGOs, welche zum Schulterschluss von Volk und Militär beitragen sollen.
"Schwächung der Staatsautorität"
Was immer sich im Volke ganz ohne Anleitung des Staates rührt, lautet die Logik dieses Dokuments, ist dazu angetan, den Staat zu schwächen und kann wohl nur ein Werk der ausländischen Feinde sein. Unter den verwerflichen Zielen solcher NGOs sind Dinge wie "Schwächung der Staatsautorität", "zivile Kontrolle staatlicher Behörden" und eine "Ausweitung der religiösen Freiheit".
Daraus spricht eine Haltung, wonach allein der Staat weiß, was der Gesellschaft frommt und es nicht gerne sieht, wenn die Gesellschaft Politik macht. Jedoch genau das hat die AKP getan, die in der Zypernpolitik gegen den Willen der Bürokratie und des Militärs auf Einigung und Kompromiss statt auf Teilung der Insel setzte.
Reformen schaffen liberale Atmosphäre
Die Politik der wirtschaftlichen Öffnung und der Privatisierung entzog der Staatsbürokratie Einfluss und Geld und produzierte dadurch viele Gegner. EU-Reformen schafften eine liberale Atmosphäre, in welcher Forderungen nach mehr kultureller Freiheit auf die Tagesordnung kamen. Der Hebel, der dies alles stoppen soll, heißt Laizismus und islamische Gefahr.
Tatsächlich glauben den Umfragen nach 20 Prozent der türkischen Bevölkerung, dass solch eine Gefahr bestehe. Nur drei Prozent jedoch sagen, sie hätten in den letzten fünf Jahren ihr Leben konservativer leben müssen. Die Masse jedoch steht zur AKP und würde sie heute in höherem Prozentsatz als bei der letzten Wahl wählen.
Premierminister Erdogan gibt sich deshalb gelassen, auch wenn alles auf ein Verbot hinweist. Seine Partei wird sich dem Prozess stellen und gleichzeitig die Demokratisierung weitertreiben. Als erstes soll der Meinungsparagraph 301 geändert werden. Sogar eine neue Verfassung wird diskutiert. Doch die Änderung der Geisteshaltung dauert länger.
Günther Seufert
© Qantara.de 2008
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