Einfalt gegen Vielfalt



Glaubt man den Umfragen, dann ist der überwiegende Teil der indonesischen Muslime nach wie vor moderat eingestellt. Doch hält sich die große Masse beim Konflikt zwischen Pancasila und Islam zurück – genauso wie die übrigen 260 Parlamentarier und viele hochrangige, indonesische Politiker, die es sich nicht mit dem religiöseren Teil der Bevölkerung verderben wollen.
Anders die Nadhlatul Ulama (NU): Die größte muslimische Organisation des Landes hat sich eindeutig gegen die Einführung der Scharia-Bylaws ausgesprochen. Die hochrangigen Islamgelehrten haben auf der NU-Jahresversammlung Ende Juli bekräftigt, dass sie den Pluralismus des Vielvölkerstaats Indonesien genauso hochhalten wollen wie die Pancasila. "Der Staat riskiert seinen Zerfall, wenn einige Gruppierungen weiterhin versuchen, Indonesien in einen islamischen Staat zu verwandeln", sagte der NU-Vorsitzende Hasyim Muzadi.
Sittenwächter und radikale Schlägertrupps
Nichtsdestotrotz spricht sich die NU für strengere Gesetze gegen Pornographie und unmoralische Handlungen aus, die vor allem bei jungen Leuten zu einem hedonistischen Lebensstil führen könnten. Damit spielen sie Gruppierungen wie der Islamischen Verteidigungsfront (FPI) oder der Partei für Gerechtigkeit und Wohlfahrt (PKS) in die Hände.
Meist ungehindert von der Staatsmacht, organisieren die radikalen Schlägertrupps der FPI immer wieder Übergriffe auf ihrer Meinung nach unmoralische Einrichtungen – sei es eine Kunstausstellung mit Aktbildern oder die Redaktion des indonesischen Playboy.
Die PKS dagegen mobilisiert seit Anfang des Jahres die Massen, um einen viel umstrittenen Entwurf für neue Anti-Pornographie-Gesetze durchzusetzen. Danach würden für Frauen im ganzen Land neue Kleidervorschriften gelten und der freie Ausdruck in Kunst und Medien stark eingeschränkt. Öffentliche Küsse könnten Gefängnisstrafen nach sich ziehen.
Das größte Potential zur Radikalisierung der Muslime in Indonesien liegt nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Farhan Effendi in der mangelhaften Ausbildung. Die meisten Schulen Indonesiens leiden an notorischem Geld- und Lehrermangel, und im Religionsunterricht lernen Schüler häufig einfach nur den Koran auswendig, ohne Arabisch oder den historischen Kontext des Islam zu verstehen.
Da sich den jungen Leuten heute kaum alternative Werte-Muster bieten, an denen sie sich orientieren könnten, ist die Gefahr groß, dass sie sich fanatischen Gruppen anschließen. "Solche Leute halten sich später an reinen Formalien fest und kauen alles nach, was ihnen jemand anders vorhält", so Effendi. "Und solange ihnen bei ihren Aktionen niemand Einhalt gebietet, glauben sie sich natürlich im Recht."
Christina Schott
© Qantara.de 2006
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