Spiegel abendländischer Koranrezeptionen



Wer jetzt Sure 96 bei Bobzin liest, bekommt mit keinem Wort auch nur einen Hinweis darauf, dass dies nach muslimischem Verständnis die erste aller offenbarten Suren ist, in jedem Fall eine der frühesten.
Die poetische Gestaltung des von Arabern als Gipfel sprachlicher Meisterschaft empfundenen Korantextes besteht bei Bobzin hauptsächlich im Reim, den er dort verwendet, wo es sich fügt, dezent, aber dafür in aller Regel sehr gelungen.
Störend macht sich manchmal Bobzins Zug zur Wörtlichkeit bemerkbar. Die berühmte 96. Sure heißt bei Bobzin denkbar unschön "Das Anhaftende". Aber nicht Tesafilm ist gemeint, sondern etwas, aus dem der Mensch gemacht sein soll: "Trag vor im Namen deines Herrn, der (…) den Menschen aus Anhaftendem schuf." Gemeint ist ein Blutklecks oder Samenflüssigkeit, wie leider erst der Kommentar erklärt.
Versöhnung der Extremvarianten
Bobzin will in seiner Übersetzung die beiden Extremvarianten deutscher Korane, den bis zur Unlesbarkeit wörtlichen von Rudi Paret aus den 70er Jahren und die poetische Übertragung von Rückert aus dem 19. Jahrhundert miteinander versöhnen. Von allen bisherigen Koranübersetzern hat Bobzin es sich damit am schwersten gemacht.
Zu dem Gelungenen dieser Ausgabe, allen anderen deutschen Koranen weit voraus, zählt die Gestaltung. Die Koranverse sind auch als Verse angeordnet. Es gibt Luft zum Durchatmen zwischen diesen Zeilen.
Wie leicht wäre es indes gewesen, dieses Prinzip konsequenter anzuwenden und die Sinneinheiten innerhalb der aus Versatzstücken zusammengestellten Suren durch Absätze von einander abzutrennen und so dem Leser, noch vor jedem Kommentar, zu vermitteln, dass er sich nicht wundern soll, wenn manches nicht zusammenpasst und viele Zusammenhänge unklar sind.
Trotz ihrer konservativen Herangehensweise beeindruckt die Übersetzung Bobzin am Ende durchaus und sei von allen deutschen Koranen gegenwärtig als der beste empfohlen, auch wenn er am Ende mehr durch philologische Fleißarbeit besticht als dadurch, wirklich neue Wege in der Koranübersetzung zu beschreiten.
Stefan Weidner
© Qantara.de 2010
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Der Koran: Neu übertragen von Hartmut Bobzin unter Mitarbeit von Katharina Bobzin. Verlag C.H. Beck, München 2010, 825 S.
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