Keine Rechthaberei, keine Monologe!
Oder besteht unser zentraler Fehler darin, unsere "westlichen" ("christlichen") Werte als alleinigen Maßstab für eine gute Gesellschaft in alle Welt zu exportieren, ohne auf andere Kulturen und Werteordnungen Rücksicht zu nehmen?
Auf diesem Niveau bewegt sich die Diskussion über weite Strecken, und sie ist zuweilen von erschreckender Selbstgerechtigkeit und Ahnungslosigkeit.
Monolog oder Dialog?
Die aktuelle Diskussion zielt am Kern des Problems vorbei, weil sie auf einer falschen Gegenüberstellung beruht. Man muss kein Islamistenfreund sein, um den Abdruck der Mohammed-Karikaturen als unsensiblen oder sogar provozierenden Akt zu empfinden.
Man muss aber auch kein westlicher Zivilisationskrieger sein, um zu erkennen, wie wichtig Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit für unsere Gesellschaft sind. Diese beiden Haltungen widersprechen sich nicht.
Der zentrale Streitpunkt besteht nicht in der Frage, ob wir Meinungsfreiheit für wichtiger halten als Respekt vor den religiösen Ansichten anderer, sondern in der Frage, ob wir die Auseinandersetzung über Wertepräferenzen und Gesellschaftskonzepte monologisch oder dialogisch führen wollen.
Derzeit scheint das Monologische Überhand zu gewinnen. Aber welche Haltung ist eigentlich naiver – jene, die darauf setzt, reformwillige Kräfte in den Entwicklungsländern zu stärken und im Dialog gesellschaftliche Modernisierungsprozesse zu befördern, oder jene, die meint, der Rest der Weltbevölkerung wird schon irgendwann auf unsere Linie einschwenken, wenn wir nur möglichst konsequent "unsere Werte" verteidigen?
Raus aus argumentativen Sackgassen
Entwicklungspolitik muss dazu beitragen, die hiesige Debatte aus solchen argumentativen Sackgassen herauszuführen.
Sie weiß schon seit langem, dass die universell gültigen Grundrechte und die Wertemaßstäbe einer urban-säkularen Gesellschaftsordnung sich nicht automatisch durchsetzen, sondern stattdessen in konfliktiven, langwierigen Prozessen schrittweise zur Geltung gebracht werden müssen – übrigens auch in unserer eigenen Gesellschaft, in der vieles, was wir heute als selbstverständlichen Teil unserer Kultur ansehen, erst gegen starke konservative Kräfte (darunter oft auch die Kirchen) durchgesetzt werden musste.
Die Entwicklungspolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Fehler gemacht, aber sie hat auch viel gelernt. Sie weiß, dass friedlicher gesellschaftlicher Wandel sich nur im Dialog der Werte und Interessen vollzieht, nicht im einseitigen Oktroy der Rechthaber.
Sie weiß, was es bedeutet, Modernisierung in einem Umfeld zu fördern, das durch schwache staatliche Strukturen, festgefügte Rollenbilder und gewaltsame Konflikte gekennzeichnet ist.
Sie hat ihre Naivität im Hinblick auf die Steuerbarkeit komplexer Abläufe schon seit langem verloren und sie verfügt über Kenntnisse, die der innenpolitischen Debatte um Integration und Wertewandel weiterhelfen können.
Vor allem liefert die Entwicklungspolitik eine wichtige Erkenntnis: Diese Debatte darf nicht von den Rändern her geführt werden. Wenn wir nur die im Blick haben, die uns terrorisieren wollen, droht uns der Weg in den Abgrund der Polarisierung und Ausgrenzung.
Es ist wahr: Wir müssen uns gegen gewaltsame Angriffe zur Wehr setzen. Das ist aber womöglich die leichtere Aufgabe, verglichen mit der Herausforderung, Millionen von Menschen den Weg in eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu ebnen, auf die sie einen Anspruch haben. Dafür brauchen wir eine Politik, die sich ihrer Wertebasis bewusst und zum Dialog fähig ist.
Christian von Haldenwang
© Deutsche Welle 2010
Dr. Christian von Haldenwang ist für die Abteilung "Governance, Staatlichkeit und Sicherheit" des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) tätig. Das DIE zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik.
Qantara.de
Der Westen und die islamische Welt
Kulturdialog statt Kampf der Kulturen
Das Thema Kulturdialog wird immer dann aktuell, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Man will von den Wissenschaftlern dann wissen, was zu tun ist, um den Kampf der Kulturen aufzuhalten, beklagt die Politikwissenschaftlerin Naika Foroutan.
Der Westen und der Islam
Tausendundein Vorurteil
Südlich und nördlich des Mittelmeers schreiben sich Menschen unzählige negative Eigenschaften zu. Denkanstöße für ein besseres Verständnis von Hassan Hanafi, Professor für Philosophie an der Universität von Kairo
Fareena Alam
Fünf Prinzipien für die Zukunft des Islam
Wenn der Islam aufrichtig mit sich selbst und seiner Zukunft umgeht, wird er auch nicht mehr mit Unterdrückung und Gewalt in Verbindung gebracht, meint die britische Journalistin Fareena Alam