Herausforderung für das patriarchale Rechtssystem
Und doch gelten doch einige Rechtsreformen, die in den letzten Jahren innerhalb des religiösen Kontextes erreicht wurden, als regelrechte Erfolgsgeschichten, so etwa die Einführung der "Khula-Scheidung" in Ägypten.
Tadros: Das ist richtig, doch hängt dies doch immer vom jeweiligen Kontext ab. Wenn Sie Ägypten als Beispiel nehmen, so besagt das Gesetz, dass in gemischten Ehen automatisch das islamische Recht anzuwenden ist – unabhängig davon, ob der Mann oder die Frau muslimisch ist. 2008 hatten wir einen Fall, in dem ein christlicher Ehemann zum Islam konvertierte, seine Frau aber Christin blieb. Sie haben zwei Söhne, Zwillinge im Alter von 14 Jahren.
Obwohl der reformierte Gesetzesartikel 20 des ägyptischen Personenstandsgesetzes einer geschiedenen Frau das Sorgerecht über ihre Kinder bis zum Alter von 15 Jahren zuspricht, wurde dies der Frau im vorliegenden Fall verwehrt, da der Richter wohl davon ausging, dass der Mann der "besseren" Religion angehört und deshalb das Recht bekommen sollte, seine Söhne im Sinne des Islam zu erziehen. Der Frau wurde das Sorgerecht also nicht wegen einer konservativen Auslegung des Islam verwehrt, sondern einfach aufgrund der Tatsache, dass sie Christin ist.
Tatsächlich aber ging sie in Berufung und erreichte im Sommer 2009, dass ihr das Sorgerecht doch noch zugesprochen wurde. Aus Sicht der ägyptischen Autoritäten aber bleiben die beiden Jungen Muslime, auch wenn sie sich selbst als Christen sehen…
…was zweifelsohne der Verletzung eines elementaren Menschenrechts gleichkommt, nämlich des Rechts auf freie Wahl der eigenen Religionszugehörigkeit. Plädieren Sie für eine stärkere Trennung von Staat und Religion in den arabischen Staaten?
Tadros: Auf jeden Fall. Wir schätzen die Religion als soziale Kraft, die das Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität und Tröstung stillt. Es geht also nicht um eine Unterminierung der Religion. Doch die Art und Weise, in der die Religion instrumentalisiert und politisiert wird, um die Rechte der Frauen auszuhöhlen, führt zu großer Ungerechtigkeit. Je mehr wir uns in Richtung einer Trennung der Religion und ihrer institutionalisierten Form innerhalb der staatlichen Strukturen bewegen, desto größer sind unsere Chancen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Frauenrechten zugutekommen.
Das bedeutet nicht, dass wir die bestehenden Verhältnisse in kurzer Zeit vollkommen umkrempeln können. Noch immer sind nachhaltige Anstrengungen vonnöten, um einen sozialen Wandel herbeizuführen – und dies in einem weiteren Kontext echter wirtschaftlicher und politischer Veränderungen. Die Möglichkeiten, Religion als Mittel gegen die Teilhabe von Frauen einzusetzen, würden aber sicherlich eingeschränkt.
Also hängt in ihren Augen die Emanzipation der arabischen und muslimischen Frauen weniger von einer modernen Neuauslegung der religiösen Schriften ab, sondern eher von der Anwendung der Menschenrechte und dem Vertrauen auf die Grundsätze von Gleichheit und Demokratie. Was sollten die arabischen Regierungen tun, um die Gleichheit zwischen den Geschlechtern zu fördern?
Tadros: Ich glaube, dass der Staat einen klaren Standpunkt beziehen muss. Wir brauchen einen Staat, der die Gleichberechtigung anerkennt, befürwortet und aktiv für sie eintritt. Ansonsten würde er eine nach Geschlechtern getrennte Zwei-Klassen-Gesellschaft legitimieren. Um dies zu verhindern, brauchen wir eine Reform aller Gesetze, die Frauen diskriminieren. Diese Reform ist zugleich ein ausgezeichneter Rahmen, in dem sich der Kampf für mehr Rechte und für sozialen Wandel entfalten kann.
Dennoch können Reformen des Rechtssystems nur dann erfolgreich sein, wenn sie mit einer Bekämpfung der sozialen Ungerechtigkeit einhergehen. Es gibt zu viele soziale Ungerechtigkeiten, die insbesondere Frauen an der Wahrnehmung ihrer Rechte hindern.
Interview: Martina Sabra
© Qantara.de 2010
Übersetzt aus dem Englisch von Daniel Kiecol
Dr. Mariz Tadros studierte an der American University in Kairo und an der Oxford University. Gegenwärtig arbeitet sie als Research Fellow am Institute of Development Studies der University of Sussex.
Qantara.de
Sexuelle Belästigung in Ägypten
Ein gesamtgesellschaftliches Problem
Einer Studie zufolge sind 98 Prozent aller ausländischen und 83 Prozent aller einheimischen Frauen mindestens einmal Opfer sexueller Belästigung geworden. Die Schuld wird oft den Opfern selbst zugeschrieben. Mohammed Ali Atassi berichtet.
Interview mit Nihad Abu al-Qumsan
Wenn sexuelle Belästigung alltäglich wird
Die prominente ägyptische Frauenrechtlerin Nihad Abu al-Qumsan, Leiterin des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte, kämpft für die Einführung eines Gesetzes, das sexuelle Belästigung zum Straftatbestand macht. Denn Belästigungen auf den Straßen Ägyptens haben ein beunruhigendes Ausmaß angenommen. Mit Nihad Abu al-Qumsan sprach Nelly Youssouf in Kairo.
Ägyptens Frauenhaus "Beit Hawa"
Schutz vor häuslicher Gewalt
Viele Frauen, die in das "Beit Hawa" flüchten, sind traumatisiert und benötigen professionelle Hilfe, aber mangels Geld ist das unabhängig geführte Projekt ständig von der Schließung bedroht. Jürgen Stryjak hat das Frauenhaus in der Nähe von Kairo besucht.