Lila Latzhose contra Burka




Doch Verdacht hin oder her: Helfen Verbote wie der Burka-Bann, den zum Beispiel Nicolas Sarkozy in allen französischen Ämtern, Bussen und Schulen durchsetzen will? Gewiss nicht. Um eines klarzustellen: Ich "befürworte" das Tragen von Burkas nicht.
Wenn ich es befürworten würde, würde ich eine tragen. Ich befürworte aber das Recht von Frauen, und zwar jeder Frau, Ämter und Behörden aufzusuchen, ohne dort schlechter behandelt zu werden als andere; ich befürworte das Recht jeder Frau, Nahverkehrsmittel zu benutzen und sich ungehindert in der Öffentlichkeit zu bewegen.
Ich würde befürworten - doch diese Forderung stand leider nie zur Debatte -, dass man mehr für Frauen tut, bei denen man befürchten muss, dass sie zu Hause Opfer physischer oder psychischer Gewalt werden.
Insbesondere ist unerlässlich, dass Ärzte, Sozialarbeiter und Lehrer mit exakt denen sprechen, von deren Befinden sie sich ein Bild machen wollen, und dass dafür auch Dolmetscher zur Verfügung stehen. Eine Frau darf nicht auf ihren Mann oder Sohn als Dolmetscher angewiesen sein, wenn sie ein Amt oder einen Arzt aufsucht.
Steckt unter jeder Burka eine tyrannisierte Frau?
Um aber von der Therapie zur Diagnose zurückzukommen: Steckt denn unter jeder Burka eine tyrannisierte Frau? Wir wissen es nicht. Noch hat niemand mit ihnen gesprochen, es gibt keine Untersuchungen dazu, es gibt ja auch kaum welche.
Wozu wir stattdessen viel Material besitzen, ist das Leben von Musliminnen mit Kopftuch - zwischen dem und der Burka natürlich wesentliche Unterschiede bestehen.
Anders als die Burka schränkt das Kopftuch Frauen bei keiner physischen oder sozialen Aktivität ein. Dennoch würden viele Deutsche am liebsten das Kopftuchtragen verbieten. Dabei lassen sich über Frauen mit Kopftuch zwei empirisch gut belegte Aussagen treffen.
Erstens: Sie sind völlig verschieden. Es gibt Feministinnen unterm Kopftuch und Duckmäuserinnen, Traditionalistinnen und Neo-Orthodoxe, Modebewusste und Keusch-sich-Verhüllende.
Zweitens: Sie alle sind alltäglicher Diskriminierung seitens der Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt.
Schon die bestehenden Kopftuchverbote an Schulen sind bedenkliche Eingriffe in das Recht eines jeden, sich in Deutschland nach eigenem Gutdünken kleiden zu dürfen. Weitere Verbote helfen nicht, sondern sind letztlich nur Signale: Wir wollen euch hier nicht.
Bereits jetzt begegnen Musliminnen in Deutschland oft genug einer Atmosphäre des Misstrauens und des wohlfeilen pauschalen Mitleids. Damit wird ihr Handlungsspielraum nicht erweitert, sondern eingeschränkt; sie werden nicht ermutigt, sondern belächelt oder gar verachtet. Feminismus ist etwas ganz anderes.
Hilal Sezgin
© Qantara.de 2010
Hilal Sezgin lebt als freie Autorin bei Hamburg. Im Frühjahr erscheint ihr Roman "Mihriban pfeift auf Gott".
Qantara.de
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