Silikonbomben auf der Theaterbühne



Unterstützt wird das Forum Jahr für Jahr von der Bibliotheca Alexandrina, die 2002 unweit der abgebrannten antiken Bibliothek in einem provozierend modernen Bau eröffnet wurde. Indem sie nicht nur dem Wissen und der Forschung dienen will, sondern sich explizit den Austausch mit den Kulturen der Welt auf die Fahnen geschrieben hat, lässt sie den Geist der Offenheit und des Dialogs wieder aufleben, der die alte Bibliothek einst prägte und berühmt machte, ein Ort wie geschaffen für das Creative Forum for Independent Theatre Groups.
Die Bibliothek stellt nicht nur mehrere Aufführungssäle im Konferenzzentrum zur Verfügung, sondern steuert laut Aboudoma auch 20 Prozent zum Budget bei, das letztes Jahr 2,4 Millionen ägyptische Pfund (umgerechnet 320.000 Euro) betragen hat.
Das zehntägige Festival wird vor allem von europäischen Kulturinstitutionen aus Schweden, Dänemark, Griechenland, Spanien, den Niederlanden, Frankreich, dem Goethe-Institut und der Pro Helvetia finanziert.
Aboudoma betont den Forumscharakter der Veranstaltung, die ganz ohne Stars und Wettbewerb auskommt, dafür in Gesprächen und Workshops neue Impulse gibt. So fand etwa im Schwedischen Institut an der Corniche Alexandrias eine fünfstündige Diskussionsrunde über den Dialog zwischen den Generationen in der Welt des Theaters statt.
Silikon im Bombenhagel
Dabei erzählte die libanesische Regisseurin Lina Abyad, die bereits mit zahlreichen Prominenten wie der ägyptischen Feministin Nawal al-Saadawy zusammen gearbeitet hat, wie nervös sie war, als sie das erste Stück einer ihrer Studentinnen inszenierte. "Ich hatte solche Angst, meine Studentin zu enttäuschen, die von mir gelernt hat und mir Respekt entgegenbringt."
Die Studentin heißt Abir Hamdar, und ihr Stück "Silicone Bomb" wurde am Theaterforum in Alexandria mit Begeisterung aufgenommen. Vor dem Hintergrund der israelischen Bombardierung Libanons im Sommer 2006 erzählt es in Form eines Telefongesprächs zwischen zwei Frauen von den Ängsten einer Frau um ihre Silikonbrüste.
Sie glaubt, im allgegenwärtigen Bombenhagel sei das Silikon explodiert und vergifte nun ihren Körper. Das temperamentvoll gespielte Stück thematisiert die absurde Nähe von Kriegsalltag und oberflächlichem Schönheitswahn.
Vielversprechend ließ sich neben Theateraufführungen, Diskussionsrunden und Workshops auch das Publikationsprogramm für arabische Dramatikerinnen an. Theaterstücke von sieben Autorinnen aus Ägypten, Syrien, Tunesien, Marokko und den palästinensischen Autonomiegebieten wurden ins Englische übersetzt und als zweisprachige Bücher auf dem Forum vorgestellt.
Mit einer Ausnahme waren alle Autorinnen nach Alexandria gereist und signierten dort ihre Bücher. Die Gelegenheit zu einem Podiumsgespräch über die weibliche Präsenz im arabischen Theater wurde hierbei allerdings versäumt.
Ein erklärtes Ziel des Forums sei der Abbau des gegenseitigen Misstrauens zwischen Ost und West, wie der künstlerische Direktor erklärte.
Schade nur, dass es in diesem Zusammenhang offenbar immer noch ein Tabu ist, Theaterschaffende auch aus Israel einzuladen. "Damit hätte ich das Forum zu einem Politikum gemacht, was ich nicht wollte", sagte Aboudoma. Trotz offiziellem Frieden zwischen den beiden Nachbarländern ist das Misstrauen gegenüber Israel in Ägypten groß – auch in der Kulturszene.
Susanne Schanda
© Qantara.de 2010
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