Autokrat im Notstand




Der Ausnahmezustand erlaubt es, die bürgerlichen Freiheiten umfangreich einzuschränken. Während der Kampagne zur Präsidentschaftswahl versprach Mubarak, den Notstand aufzuheben und durch Antiterrorparagraphen zu ersetzen. Stattdessen wurde er seitdem bereits zum zweiten Mal verlängert.
Die Regierung, erklärte Premierminister Ahmed Nazif dem Parlament am Tag der Abstimmung über den Ausnahmezustand, habe ihn strikt dazu benutzt, Terrorismus zu bekämpfen. Die üblichen Gesetze seien dazu nicht geeignet. Bislang habe die Zeit nicht ausgereicht, ein effizientes Antiterrorgesetz zu entwickeln.
Ein Argument, das Kritiker lächerlich finden. "Zehn Antiterrorgesetze", schrieb Diaa Rashwan vom halbstaatlichen Kairoer Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien in der unabhängigen Tageszeitung Al-Masri al-Youm, "hätten seit Mubaraks Versprechen, den Aufnahmezustand zu beenden, entworfen werden können."
Wenige Wochen zuvor hatte der Generalstaatsanwalt die Freilassung von Al-Mahalla-Demonstranten sowie von Internet-Aktivisten, die im Umfeld der Textilarbeiterproteste zu einem Generalstreik aufgerufen hatten, angeordnet.
Kein Antiterrorgesetz in Sicht
Laut Human Rights Watch steckte das Innenministerium 20 von ihnen erneut ins Gefängnis – unter Anwendung der Notstandsgesetze. Für Regimekritiker ist das eindeutig ein Beleg dafür, warum ein Antiterrorgesetz noch nicht existiert. Es müsste sich auf die Terrorabwehr beschränken und würde kaum dazu taugen, die Zivilgesellschaft in Schach zu halten.
Neben bürgerlichen, linken und säkularen Oppositionellen ist es vor allem die Muslimbruderschaft, die die Repressionen des Ausnahmezustands zu spüren bekommt.
Im Februar 2006 ließ ein Zivilgericht eine Anklage gegen Khairat Al-Shatir, einem ihrer prominentesten Führer, und 15 weitere Muslimbrüder fallen. Mubarak persönlich ordnete unverzüglich einen neuen Prozess an, diesmal vor einem Militärtribunal. Am 15. April wurden sie und weitere 24 Zivilisten zu bis zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.
Der Ausnahmezustand gestattet es, Zivilisten vor Militärgerichte zu stellen, deren Urteile nicht angefochten werden können. Doch die Muslimbruderschaft, als die am besten organisierte Oppositionskraft im Land, ist längst noch nicht die größte Herausforderung des Regimes.
Brot und keine frommen Debatten
Im April gab die zentrale Statistikbehörde die Daten zur Preisentwicklung bekannt. Brot wurde in den zwölf Monaten zuvor um 48,1 Prozent teurer, Pflanzenöle und Bratenfett um 45,2 Prozent, Geflügel gar um 140 Prozent. Bei der Muslimbruderschaft kommt soziale Not bislang weitestgehend nur in Form von Wohlfahrtsrethorik vor. Aber die Menschen wollen Brot und keine frommen Debatten.
Eine politische Kraft, die die Wut über das soziale Elend zu Aktionen bündelt, die das Regime wirklich bedrohen, existiert bisher noch nicht. Was diese Wut aber bewirken könnte, haben die Brotunruhen vom Januar 1977 gezeigt. Damals starben mindestens 70 Menschen.
Auch heute ist die Situation explosiv. Bahey Edin Hassan erwartet deshalb auch von dem Antiterrorgesetz, das den Ausnahmezustand irgendwann ablösen soll, keine Stärkung der Bürgerrechte. "Dieses Antiterrorgesetz", sagt der Direktor des Kairo-Institutes für Menschenrechtsstudien, "wird das schlimmste auf der ganzen Welt sein."
Jürgen Stryjak
© Qantara.de 2008
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