Vorreiter eines "Euro-Islam"?




Für manche ist Tariq Ramadan so eine Persönlichkeit. Der Schweizer Islamwissenschaftler vertritt offensiv das Konzept eines Euro-Islam, durch den die Muslime ihren doppelten Minderwertigkeitskomplex gegenüber den islamischen Heimatländern und gegenüber den westlichen Demokratien ablegen könnten. Ramadan wehrt sich allerdings dagegen, sich von außen diktieren zu lassen, was solch ein Euro-Islam an Leitkultur annehmen sollte. "Ich bin für Integration", formuliert er seine Position: "Aber es ist an uns Muslimen zu entscheiden, was das bedeutet."
Mit solchen Äußerungen macht sich Ramadan bei Kritikern verdächtig. Ralph Ghadban, der über Ramadan ein Buch geschrieben hat, hält den Wortführer eines Euro-Islam für einen verkappten Fundamentalisten, der dem Islam in Europa einen Weg bahnen möchte. Wieder schaut das Schreckgespenst Islamisierung um die Ecke.
Ausgehandelte Normalität
Die islamischen Verbände in Deutschland müssen sich ebenfalls mit dem Vorwurf der Uneindeutigkeit auseinandersetzen. 2002 verabschiedete der Zentralrat der Muslime eine Charta, in der es heißt: "Es besteht kein Widerspruch zwischen der islamischen Lehre und dem Kernbestand der Menschenrechte." Warum aber nur dem Kernbestand? Und wer definiert diesen?
Praktisch wird dies Schritt für Schritt ausgehandelt, gerade weil der Islam mittlerweile für seine auch öffentliche Anerkennung in Deutschland kämpft. Die Islam-Verbände fordern islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen, so wie er den christlichen Kirchen zusteht. So entsteht eine Religionslehrerausbildung an mehreren Hochschulen, die der staatlichen Schulaufsicht unterliegt.
Im September 2008 wurde in Nordrhein-Westfalen das erste muslimische Religionsbuch zugelassen. Wo die Baugenehmigung einer repräsentativen Moschee beantragt wird, muss sich der Bauherr häufig verpflichten, ein Begegnungszentrum oder Integrationskurse einzurichten oder die Predigt des Imam auf Deutsch zu halten. So etwas wie ein Euro-Islam entsteht also aus lauter einzeln ausgehandelten Vereinbarungen zwischen der Einwanderer-Religion und den Akteuren der "Mehrheitsgesellschaft".
Peter Heine ist optimistisch, dass dieser Prozess erfolgreich verläuft. "Der Islam ist im Grunde ein sehr flexibles System", sagt der Islamwissenschaftler. Er habe sich im Lauf seiner Geschichte immer wieder in unterschiedliche Gesellschaften integrieren. Deshalb sei der Islam in Indien oder in Ostafrika auch ganz anders geprägt als etwa im Irak. "Und vieles, was heute noch islamische Propagandisten etwa aus arabischen Ländern verlauten lassen, trifft die Lebenswirklichkeit der meisten Muslime in Europa nicht mehr."
Gregor Taxacher
© Goethe-Institut 2009
Gregor Taxacher arbeitet als Autor des Westdeutschen Rundfunks sowie als Bildungsreferent der Thomas-Morus-Akademie (Schwerpunkt unter anderem: Christentum und Islam) in Köln.
Qantara.de
Buchtipp: Wer hat Angst vor Tariq Ramadan?
Epochaler Reformator oder Wolf im Schafspelz?
Tariq Ramadan ist wohl einer der schillerndsten muslimischen Intellektuellen Europas. Nina zu Fürstenberg hat den vielfach auch als "Softcore-Islamisten" gescholtenen Ramadan in ihrem Buch unter die Lupen genommen. Katajun Amirpur hat es gelesen.
Tagung mit Jürgen Habermas und Tariq Ramadan
Ohne Muslime kein Europa
Die Integration der nach Europa eingewanderten Muslime sei längst kein Projekt mehr, sondern Realität, so Tariq Ramadan. Bei einer Tagung traf der umstrittene Vertreter der europäischen Muslime auf den Philosophen Jürgen Habermas – und es wurde kontrovers über das Verhältnis Europa-Moderne-Islam diskutiert.
Interview mit Hans Magnus Enzensberger
"Europa besitzt kein Copyright auf die Aufklärung"
Auf Einladung von Scheich Al Maktoum, dem Herrscher des Emirats Dubai, trafen sich namhafte deutsche und arabische Schriftsteller und Meinungsführer zum "arabisch-deutschen Kulturdialog". Zugegen war auch Hans Magnus Enzensberger. In den Mittelpunkt seiner Rede stellte er die Frage, ob es in der arabischen Welt einer neuen Aufklärung bedarf. Mit ihm hat sich Loay Mudhoon unterhalten.
Udo Steinbach
Euro-Islam: Ein Wort, zwei Konzepte, viele Probleme
Das Wort "Euro-Islam" macht wieder die Runde. Es taucht immer dann auf, wenn es in den Beziehungen zwischen der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Religionsgemeinschaft in Europa nicht zum Besten steht.