Staatlich verordneter Glaube


Bestätigung für die Hardliner
Dabei ist Nugroho mit mündlichen Bedrohungen noch glimpflich davon gekommen: Vier andere Experten wurden auf ihrem Weg zum Gericht geschlagen und getreten. Die Richter haben die umstrittenen Paragraphen dennoch bestätigt. Mit nur einer Gegenstimme entschied das neunköpfige Gremium vergangene Woche, dass das alte Gesetz der Verfassung nicht widerspreche und "unverzichtbar für die religiöse Harmonie im Land sei". Eine Koalition indonesischer Menschenrechtsgruppen unter Leitung des Wahid-Instituts hatte eine rechtliche Überprüfung des Blasphemie-Gesetzes beantragt. Nach ihrer Auffassung widerspricht das 1965 nach einem Staatsputsch eingeführte Gesetz der indonesischen Verfassung, die Religionsfreiheit garantiert.

Verfolgte Ahmadiyah-Anhänger
Besonders hart bekamen das 2008 die Anhänger der Ahmadiyah zu spüren, die sich zwar zum Islam bekennen, aber nicht glauben, dass Mohammed der letzte Prophet war. Nach gewaltsamen Übergriffen radikaler Islamisten, mussten sich viele Ahmadiyah-Anhänger verstecken. Auf der Insel Lombok hausen hunderte von Familien bis heute in einem Flüchtlingslager, weil sie sich nicht in ihre Heimatdörfer zurück wagen. Anstatt die Angreifer zu bestrafen, verbot die Regierung alle öffentlichen Aktivitäten der Ahmadiyah. "Religionsfreiheit muss immer begrenzt bleiben, weil sie unbegrenzt die Freiheit der Mehrheit beeinträchtigen könnte", sagt Saleh Daulay, Rechtssekretär der Muhammadiyah, der zweitgrößten islamischen Massenorganisation im Land. "Es ist unsere Pflicht, den etablierten Glauben einer Mehrheit vor Störungen zu schützen. Ohne das Blasphemie-Gesetz hätten wir keine Grundlage mehr, um soziale Unruhen zu verhindern."

In der Praxis wurde das Gesetz in Indonesien bislang vor allem angewendet, um Verstöße gegen die Hauptglaubensrichtungen des Islam zu ahnden. Außer sektenähnlichen Gruppen wie die Ahmadiyah gerieten in den vergangenen Jahren auch immer wieder Einzelpersonen ins Visier: Im Mai 2006 etwa sollte die muslimische Gouverneurin von Banyuwangi in Ostjava ihres Amtes enthoben werden, weil sie angeblich eine andere Religion als den Islam praktiziere.
Hintergrund war ihre Ehe mit einem Hindu. Im Dezember 2008 wurde auf den Molukken eine christliche Grundschullehrerin verhaftet, weil sie sich im Unterricht abfällig über den Islam geäußert haben soll. Hunderte aufgebrachter Muslime zerstörten allein aufgrund des Gerüchts 67 Häuser, eine Kirche und eine Versammlungshalle und verletzten fünf Menschen. Nur zwei der Randalierer wurden verhaftet.
Keine Lösung religiöser Konflikte
"Das Blasphemie-Gesetz löst die religiösen Konflikte in diesem Land nicht", erklärte Rechtsexperte Masdar Farid Mas'udi von der Nahdlatul Ulama (NU), der größten islamischen Massenorganisation Indonesiens, in der Tageszeitung Jakarta Post. "Das Gericht hätte die Begriffe Blasphemie und Häresie genauer definieren müssen. Nach der momentanen Auslegung müssten eigentlich auch islamische Prediger für ihre Hetzreden gegen andere Religionen kriminalisiert werden." Mas'udi steht mit seiner Meinung allerdings ziemlich allein da: Nicht nur die radikalen Islamisten, sondern auch seine eigene Organisation, die als moderat geltende NU, sowie die Muhammadiyah hatten sich gegen eine Widerrufung des Blasphemie-Gesetzes ausgesprochen.
Die indonesische Hindu-Dharma-Vereinigung (PHDI) und der Indonesische Buddhistenrat (Walubi) waren ebenfalls für die Beibehaltung des Gesetzes. Die einzige Gegenstimme bei der Gerichtsentscheidung kam von Verfassungsrichterin Maria Farida Indrati, die sich einen Monat zuvor bereits als einzige im Gremium gegen das ebenfalls höchst umstrittene Anti-Pornographie-Gesetz gestellt hatte. Ihrer Meinung nach ist das Blasphemie-Gesetz ein Produkt der Vergangenheit, das der heutigen Verfassung nicht mehr entspreche – insbesondere in Hinsicht auf die Wahrung der Menschenrechte und der Religionsfreiheit. "Offiziell haben wir in Indonesien Religionsfreiheit, aber ganz so frei ist es eben doch nicht", sagt Dwi Nurdianto (Name geändert), der für eine soziale Organisation im javanischen Yogyakarta arbeitet.
"Auf dem Papier bin ich Muslim, obwohl ich eigentlich Atheist bin – aber das darf ich hier nicht sein. Wenn ich keiner Religion angehöre, bekomme ich keine offiziellen Papiere. Und was passieren würde, wenn gewisse Leute von meiner Einstellung wüssten, kann man sich nach den Szenen vor dem Verfassungsgericht vorstellen. Eigentlich müsste der Staat doch die Minderheiten vor Verfolgung schützen – stattdessen argumentiert er mit dem Schutz der Mehrheit."
Christina Schott
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de