Eine Art "Woodstock Marokkos"

Qualitativ am besten und eindrucksvollsten sind immer noch jene Konzerte, bei denen afrikanische Künstler aufeinander treffen. Etwa als die Gnawas von Maâlem Abdelkébir Merchane mit der Perkussionsgruppe Yaya Ouattara Duba Dew aus Burkina Faso und dem senegalesischen Koraspieler Soriba Kouyaté gemeinsam auf der Bühne afrikanische Musikkultur zelebrieren.
Auch die Jugendszene hat in Essaouira einen angestammten Platz: Auf der Bühne am Strand treten marokkanische Elektro-DJs zusammen mit "Asian Dub Foundation" aus London auf.
Die größte Publikumsbegeisterung löst zweifelsohne "Hoba Hoba Spirit" aus: Das sind Vertreter einer neuen Generation marokkanischer Fusion-Bands, die traditionelle Klänge des Maghreb mit Rock und Reggae mischen und als Sprachrohr der marokkanischen Jugend gegen die politischen Verhältnisse im Land fungieren.
Musikalische Tristesse und Aufbruch
Noch bis Anfang der 90er Jahre glich die musikalische Landschaft Marokkos einer Wüste. Es gab oft nur kopierte Kassetten aus dem Westen, seichten Rai-Pop aus Algerien oder arabische Schmachtfetzen in den Staatssendern.
Das Essaouira-Festival stellt daher für Marokko einen Meilenstein dar: "Zu Beginn gab es nur Skepsis. Keiner hat geglaubt, dass sich so etwas organisieren lässt. Mittlerweile hat jede größere Stadt ein eigenes Festival", erklärt Azoul Azoulay, Mitbegründer des Festivals und zugleich Berater der Königsfamilie.
Der junge König Mohamed VI. ist darum bemüht, das Land durch demokratische Reformen zu modernisieren. Unter der Herrschaft seines Vaters stand Kultur noch unter dem Generalverdacht der Subversion.
Das Essaouira-Festival reflektiert heute auch diesen Öffnungsprozess und versteht sich als "Imagepflege" und Tourismuswerbung für das Land.
Die marokkanische Presse schreibt gar vom "Woodstock Marokkos" und vom "Essaouira Spirit". "In Essaouira ist die Straße der Ehrengast”, meint das linke Magazin "Journal Hebdo" - tatsächlich sind alle Konzerte in Essaouira kostenlos.
Islamisten wittern Dekadenz und Verwestlichung
Alles nur Brot und Spiele fürs Volk? Nein, das Essaouira-Festival ist auch Schauplatz eines Kulturkampfes. Die islamistische PJD (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung), könnte die kommenden Parlamentswahlen gewinnen.
Sie prangert die "Verwestlichung" Marokkos an. Das Gnawa-Festival nennt sie einen Hort der "Ausschweifungen, der Drogen und der Homosexualität". Auch gegen das Jugend-Open-Air "Boulevard des jeunes musiciens de Casablanca" wird gehetzt. "Die PJD sieht darin eine Mischung aus Sodom und Gomorrha", bemerkt hierzu das marokkanische Journal "Telquel".
Doch die Diffamierungen und Drohgebärden der Islamisten lässt das Publikum in Essaouira kalt. Hier tanzt die Jugend Marokkos. Von Klebstoff schnüffelnden Straßenkids über Schüler im Neo-Hippie-Look bis hin zur schicken "jeunesse dorée" freut man sich über die Musik – egal ob Gnawa oder Hiphop.
David Siebert
© Qantara.de 2007
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