Journalisten unter Druck




Jüngstes Beispiel dafür, dass die staatsunabhängige Presse zunehmend unter Druck steht, ist das Nachrichtenmagazin "Nokta":
Anfang April ordnete die Militärstaatsanwaltschaft einen Untersuchungsbefehl gegen die Wochenzeitung an, weil sie Tagebücher eines pensionierten Offiziers über einen im Jahr 2004 geplanten Militärputsch gegen die Erdogan-Regierung, enthüllt hatte. Der Herausgeber hatte daraufhin erklärt, der anhaltenden Verleumdungskampagne gegen "Nokta" nicht mehr gewachsen zu sein und die Zeitung schließen zu müssen.
Pressefreiheit nicht von heute auf morgen einführbar
Das unabhängige Online-Magazin "Bianet", das im Rahmen eines EU-Projektes gefördert wird, berichtet seit Jahren über ein Netzwerk lokaler Korrespondenten regelmäßig über die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in der Türkei, insbesondere über die aktuelle Entwicklung der Presse- und Meinungsfreiheit.
Erol Önderoglu, zuständiger Redakteur für die Abteilung Pressefreiheit bei "Bianet" und Türkei-Korrespondent von "Reporter ohne Grenzen", glaubt, dass auch die Anpassung an europäische Presserechtsstandards im Zuge eines möglichen EU-Beitritts der Türkei die derzeitigen Probleme nicht schlagartig lösen könne.
Die Türkei müsse aus eigenen Anstrengungen heraus Gesetzesreformen zur Garantie der Presse- und Meinungsfreiheit einleiten und die Zivilgesellschaft dadurch stärken:
"Die größte Auseinandersetzung muss innerhalb der türkischen Bevölkerung stattfinden", so Önderoglu. "Wir sollten darüber diskutieren, was in der Vergangenheit stattgefunden hat, um einen Ausgleich in der Gesellschaft zu erzielen. Wir müssen die anti-demokratischen Gesetze, die Strafrechtsparagrafen beseitigen und die Leute dazu bewegen, ihre Meinung über die Regierungspolitik offen zu sagen. Diese Angelegenheiten müssen diskutiert werden – und zwar noch vor einem EU-Beitritt der Türkei."
Gefahr der Medienkonzentration
Doch nicht alleine die Anwendung der türkischen Strafrechtsparagrafen bereitet kritisch denkenden Journalisten Kopfzerbrechen. Die Pressefreiheit im Land ist auch durch die zunehmende Medienkonzentration bedroht, meint Aydin Engin:
"Unser Hauptproblem ist die Monopolisierung der Presse – allen voran die Dogan-Gruppe, die bereits 55 Prozent der Zeitungen, 70 Prozent der Zeitschriften sowie vier Fernsehkanäle besitzt. Sie kontrolliert auch schon 85 Prozent des Vertriebes von Presseerzeugnissen an den Kiosken. Kleinere Zeitungen haben da kaum eine Chance bei der Verbreitung ihrer Blätter. Und wir dürfen auch nicht den gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Einfluss vergessen, den diese Monopolisierung mit sich bringt."
Arian Fariborz
© Qantara.de 2007
Qantara.de
Türkisches Internetportal Bianet
Unabhängiger Journalismus im Aufwind
In der Türkei müssen Journalisten nach wie vor fürchten, wegen des Straftatbestands der "Beleidigung des Türkentums" verurteilt zu werden. Trotzdem gibt es Journalisten, die es wagen, offen über sensible Themen zu berichten. So auch die Mitarbeiter der Internet-Plattform Bianet. Hülya Köylü hat die Redaktion in Istanbul besucht.
Mord an türkisch-armenischem Journalisten Hrant Dink
Ein Leben für Versöhnung und Dialog
Nach dem Mord an dem prominenten Journalisten Hrant Dink steht die Türkei noch immer unter Schock. Dorian Jones berichtet aus Istanbul über den couragierten Publizisten, der sich sein Leben lang für Demokratie und Freiheit einsetzte.
Medien in der Türkei
Im Zweifel gegen die Pressefreiheit
Obwohl die Regierung Erdogan im Vorfeld der EU-Beitrittsverhandlungen das Strafrecht weitgehend liberalisiert hat, wird die Meinungsfreiheit türkischer Journalisten nach wie vor stark eingeschränkt. Von Ömer Erzeren
Tabuthemen in der Türkei
Willkürlicher Ermessensspielraum
Immer wieder werden türkische Intellektuelle angeklagt, weil sie vermeintliche Tabuthemen verletzt haben. Häufig heißt die Anklage "Beleidigung des Türkentums", Instrument der Anklage ist der berüchtigte Paragraph 301. Jürgen Gottschlich über Tabus, die längst keine mehr sind