"Der Koran – ein Buch in vielen Sprachen"



Betrachtet man den Freitagsgottesdienst, so fällt auf, dass dort, wo im christlichen Gottesdienst die Eucharistiefeier steht, im Koran das Gebet steht, das ja weitestgehend aus Rezitation besteht. Man hat die Rezitation deswegen auch als die weitaus intimste "Gott-menschliche" Kommunikation im Islam erkannt und sogar mit der Eucharistie verglichen, was ich akzeptieren würde.
Sie kritisieren meines Erachtens zu Recht den Verzicht auf die Erschließung des Korans als Teil der Spätantike durch moderne westliche Forscher. Aber müsste unsere Kritik nicht noch weiter gehen? Ist der Koran nicht auch für weite Teile Europas eine der grundlegenden Heiligen Schriften gewesen, die unsere kulturelle Entwicklung entscheidend beeinflusst haben?
Neuwirth: Sie sprechen mir aus dem Herzen. Ich denke dennoch, dass die Aufgabe der Wiedereingliederung des Korans unter die theologische Literatur der Spätantike am Anfang stehen sollte. Denn hier scheint mir "der Hase im Pfeffer" zu liegen. Solange wir unpräzise von einem "Buch Muhammads" ausgehen, das heißt verkennen, dass der Koran wie die biblischen Bücher eine Heilige Schrift mit allen Implikationen ist, wird der epigonale Charakter – der als Fälschung erkennbare Ring – immer eine Betrachtung des Islam auf Augenhöhe vereiteln.
Ich möchte daher auch keineswegs nur Traditionen vergleichen, sondern auch versuchen, das Amalgam, das diese Traditionen zu etwas gänzlich Neuem gemacht hat, aufspüren. Der Koran ist sicher ein Fall von kultureller Übersetzung, aber gleichzeitig auch ein spätes Ereignis von erfolgreicher Vermittlung von Transzendentalität. Alle von Ihnen genannten Desiderate halte ich für sehr wichtig.
Sie arbeiten zurzeit für die Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg, das Wissenschaftskolleg, einen Sonderforschungsbereich der Freien Universität Berlin und den Suhrkamp Verlag an verschiedenen großen Projekten, die mit der Koranforschung zusammenhängen. Könnten Sie uns dazu etwas mehr sagen?
Neuwirth: Die Projekte sind vier:
BBAW: Das Corpus coranicum ist ein Doppelprojekt, bestehend 1. aus der dokumentierten Edition des Koran, die eine Fülle ältester Handschriften einbeziehen und elektronisch auswerten, außerdem die umfangreiche gelehrte Literatur zu den Lesarten heranziehen soll. Ziel ist eine dokumentierte, nicht aber eine kritische Ausgabe. 2. einem historisch-kritischen Kommentar, der zu jeder Sure ihre extrakoranischen Referenzen, ihren Sitz im Leben und natürlich den Forschungsstand aufführen wird.
FU-Sonderforschungsbereich "Ästhetische Erfahrung der Arabischen Sprache, hier befassen sich zwei Unterprojekte mit dem Koran, 1. ein Vergleich zwischen Koran und Psalmen, 2. Korankalligraphie im Kontext: arabische und hebräische Schrift, historisch und theologisch im Vergleich.
Wissenschaftskolleg: "Der Koran als spätantiker Text, historische Lektüren des Koran" (im Rahmen des Projekts: Der Vordere Orient im Islam, der Islam im Vorderen Orient). Hier geht es zum einen um eine historische, auf extra-koranische Traditionen gestützte Lektüre des Korans selbst, zum anderen um die Kontroversen, die sich in der Geschichte um den Koran gerankt haben. Das Projekt wird zusammen mit drei muslimischen jungen Gelehrten verfolgt.
Internationale Sommerakademie Istanbul 2007: Methodische Zugänge zu Bibel und Koran. Hierzu sind junge Theologen aus der islamischen Welt ebenso wie aus Europa und den USA eingeladen.
Interview Kurt Scharf
© Qantara.de 2007
Angelika Neuwirth ist Professorin am Seminar für Semitistik und Arabistik der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Koran und Koranexegese.
Qantara.de
Koranforschung
"Was ist eigentlich der Koran?"
Christoph Luxenbergs Buch zur Entstehungsgeschichte des Korans fand in der internationalen Öffentlichkeit ein großes Echo. Doch die Islamwissenschaftler bleiben skeptisch. Michael Marx fasst die Ergebnisse einer Berliner Konferenz zum Thema zusammen.
"Die Syro-Aramäische Lesart des Koran"
Streit um Koran-Interpretation
Selten hat ein deutsches Buch international für so viel Wirbel gesorgt wie "Die Syro-Aramäische Lesart des Koran" von Christoph Luxenberg. Ist die heilige Schrift des Islam möglicherweise falsch interpretiert?
Buchtipp: "Geschichte des Islam"
Atemberaubende Vielfältigkeit
In ihrem Buch "Die Geschichte des Islam" analysiert die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer die Entwicklung der Weltreligion von ihren Anfängen, der Blütezeit des Islams, bis in die frühe Neuzeit. Mona Naggar hat es gelesen.