"Weder Hamas noch Fatah repräsentieren die Palästinenser"




Rees:
Das erste der Bücher über Bethlehem ist ins Hebräische übersetzt worden und ich war überrascht über die sehr, sehr positiven Reaktionen, denn normalerweise mögen die Israelis keine Ausländer, die ihnen erzählen, was im Nahen Osten vor sich geht. Aber dieses Buch gab ihnen die Möglichkeit über die Mauer nach Bethlehem herein zu schauen. Seit der Intifada hat die israelische Regierung ihren Bürgern untersagt, palästinensische Städte zu betreten, aus Angst, sie könnten entführt oder ermordet werden. Ich mache mir keine Illusionen, dass ich die Israelis dazu bringen könnte, die Palästinenser zu mögen, ich zeige sie ihnen nur auf eine menschliche Weise. Und genau darum geht es in meinen Romanen – keine Stereotypen. Für Israelis ist das eine sehr wichtige Erfahrung.Und die Reaktion der Palästinenser?
Rees: Die Rückmeldungen, die ich von Palästinensern und Menschen aus der ganzen arabischen Welt erhalten habe, waren sehr gut. Ich bekomme eine Menge E-Mails von Leuten, die sagen "Wir sind froh, dass Sie die Wirklichkeit des Lebens in Palästina zeigen, weil das nicht in den Medien vorkommt."
Zum großen Teil bleiben westliche Korrespondenten nicht lange genug, um sie kennenzulernen und die arabischen Medien wollen nur Israel bei jeder Gelegenheit schlecht machen. Deshalb erzählen sie beide nicht die wahre Geschichte. Die echten Personen hinter den Figuren, der echte Omar Jussuf und der echte Chamis Zaydan – das ist der Polizeichef in meinen Romanen – haben die Bücher gelesen und mögen sie sehr, weil es für sie ein Weg ist, ihre Gefühle auszudrücken. Das ist etwas, was sie nicht auf politische Weise tun können. Sie haben keine politischen Möglichkeiten, die Hamas und die Fatah repräsentieren das palästinensische Volk nicht. Sie repräsentieren zwei korrupte, gewalttätige, militante Gruppen, die ein Interesse an der Fortsetzung des Konflikts haben.
Gibt es keine Entwicklung innerhalb der Hamas, keine Anzeichen dafür, dass sich etwas ändert? Ist es vorstellbar, dass die Hamas dem Terror entsagt?
Rees: Nein, ich glaube, das Gegenteil passiert. Meiner Meinung nach hat sich die Macht unzweifelhaft zugunsten des militärischen Flügels verschoben, und deshalb fliegen die Raketen weiter, auch wenn die politischen Führer sie stoppen wollen. Das hat überhaupt nichts mit Israel zu tun, auch nicht mit dem Friedensprozess, wie die Journalisten immer schreiben. Es liegt an dem Streit innerhalb der Hamas darum, wer das Sagen hat.
An sich sind die Hamas-Leute überraschend nett. Eine Sache ist mir durch meine Bücher klar geworden: Dadurch, dass ich Leute von der Hamas und auch von der Fatah getroffen habe, die schreckliche Dinge getan haben, dadurch, dass ich ihnen in die Augen geschaut, mit ihnen gesprochen und ihre Geschichten gehört habe, glaube ich verstanden zu haben, welchen Preis sie als menschliche Wesen dafür bezahlen.
Interview: Eren Güvercin
© Qantara.de 2010
Matt Beynon Rees stammt aus Wales, studierte Englische Literatur an der University of Oxford und Journalismus an der University of Maryland, College Park. Danach lebte er fünf Jahre in New York bevor er 1996 nach Jerusalem ging, wo er zunächst für The Scotsman und Newsweek schrieb. Von 2000 bis 2006 leitete er das Jerusalemer Büro des Time-Magazins. 2008 erschien sein erster Kriminialroman mit dem palästinensischen Lehrer Omar Jussuf. Er lebt mit seiner Familie in Jerusalem.
Übersetzung aus dem Englischen: Sabine Kleefisch
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
Qantara.de
Friedenspreis für David Grossman
Was der Konjunktiv aus den Menschen macht
Kein Pazifismus, aber Verhandlungsfähigkeit: Warum der israelische Schriftsteller David Grossman den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, erklärt Lothar Müller.
Interview mit Juliano Mer Khamis
"Politisch gesehen bin ich ein Palästinenser"
Juliano Mer Khamis ist israelischer Schauspieler und Regisseur. Der Sohn eines Palästinensers und einer jüdischen Mutter leitet in Jenin ein Theater für Kinder und Jugendliche. Mit ihm sprach Igal Avidan.
Hubert Haddads Roman "Falastin"
Zwischen israelischer Armee und palästinensischem Untergrund
Ein israelischer Soldat, der fast zum palästinensischen Untergrundkämpfer wird: Es ist eine erstaunliche Verwandlung, die der tunesisch-französische Schriftsteller Hubert Haddad beschreibt. Ihr mag die doppelte Bindung des Autors zugrunde liegen: Haddad ist Jude und Araber zugleich. Kersten Knipp rezensiert den Roman "Falastin".
Porträt des Fotografen Judah Passow
Blick für die Tragik eines Konflikts
Der viermal mit dem "World Press Award" ausgezeichnete Fotograf Judah Passow sucht Motive, die vordergründig einfach wirken, hinter denen sich jedoch vielschichtige Geschichten verbergen, wie zum Beispiel die Tragik des palästinensisch-israelischen Konflikts. Alexandra Senfft hat Passow in London getroffen.