"Weltlich im Kopf, muslimisch im Herzen"




Aicha Chenna und ihre Mitstreiterinnen wollten den jungen Müttern die Möglichkeit geben, ihre Kinder zu behalten und ein eigenständiges Leben zu führen. Dabei setzten sie auf die Stärken der betroffenen Frauen: ihre Kenntnisse in Küche und Haushaltsführung.
1986 eröffnete Solidarité Féminine in einem Arbeiterviertel von Casablanca die erste Garküche Marokkos, die ausschließlich von ledigen Müttern betrieben wurde. In den folgenden Jahren kamen zahlreiche weitere einkommenschaffende Projekte hinzu.
Reform des Familien- und Personenstandsrechts
Die Initiative wurde gelobt, aber auch kritisiert. Konservative Kräfte behaupteten, Solidarité Féminine würde die Prostitution fördern und den Islam ruinieren. Freitagsprediger in Moscheen sprachen offene Drohungen aus. Doch Aicha Chenna ließ sich nicht einschüchtern.
Ein wichtige Bestätigung für ihre Arbeit war die Reform des marokkanischen Familien- und Personenstandsrechts im Jahr 2004: seither können marokkanische Gerichte Vaterschaftstests anordnen. Paare, die unverheiratet ein Kind zeugen, können sich nachträglich verloben und so einer Strafe entgehen. Unverheiratete Mütter, die keinen Partner haben, profitieren von diesem Gesetz allerdings nicht.
"Verlobung heißt ja, dass man sich einig ist. Aber das gilt nicht für alle Frauen", erklärt Chenna. "Und hier sehe ich das Problem: Die anderen gelten immer noch als Prostituierte. Sie müssen nach wie vor damit rechnen, bis zu sechs Monate im Gefängnis zu landen."
Ein moderner, liberaler Islam der Werte
Aicha Chenna, die bereits vor vielen Jahren die Hajj, die Pilgerfahrt nach Mekka absolviert hat und die von Freunden deshalb auch "Hajja", genannt wird, verkörpert einen modernen, liberalen Islam. "Weltlich im Kopf und muslimisch im Herzen" lautet ihr persönliches Motto.
Dass Solidarité Féminine nun für die jahrzehntelange, oft sehr harte Pionierarbeit den hochdotierten Opus-Preis erhalten hat, ist nicht nur für die 68jährige Gründerin, ihre Mitarbeiterinnen und für alle ledigen Mütter in Marokko eine Ermutigung. Die Ehrung ist auch eine wichtige Botschaft gegen religiös motivierte Intoleranz jeder Couleur.
Martina Sabra
© Deutsche Welle 2009
Qantara.de
Elisabeth-Norgall-Preis für Aicha Chenna
Inkarnation der Mütterlichkeit
Um ledigen Müttern und ihren Kindern zu helfen, gründete Aicha Chenna vor 20 Jahren die Selbsthilfeorganisation "Solidarité Féminine". In Frankfurt erhielt sie jetzt für ihr Engagement den Elisabeth-Norgall-Preis 2005. Martina Sabra hat Aicha Chenna in Casablanca besucht.
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